Der Mann im Haus (Leseprobe) |
Statt Schiss, vor dem, was ich zu tun beabsichtige, sitzt mir immer noch das blöde Grinsen im Gesicht, denn wenige Meter vorher hatte ich eine leere Flasche Malt mit Schmackes aus dem Autofenster gefeuert. Ehrlich, ich halte mich manchmal selber für einen Spinner, - denn vor dem Wurf hatte ich mit der Flasche gesprochen, wie ich es seit Jahren mit den Dingern tue: Siehst du Paula, nannte ich die beim Namen, nun habe ich auch dich überlebt, - nun kann die nächste kommen. Echt, - ich sagte überlebt; - aber ich freue mich wirklich auf den Tag, an dem ich statt überlebt überwunden sagen werde. Doch eigentlich klingt überwunden auch blöd. Als die Flasche vor den Füßen eines lumpigen Glatzkopfs zersplitterte, der gerade gegen eine Straßenlaterne pinkelte, giftete dieser mit einem 'Stinkefinger' in meine Richtung. Zu gerne hätte ich seine Reaktion gesehen, wenn Paula ihn voll auf den Schwanz getroffen hätte. Doch soll ich zurückfahren, um ihm wegen des 'Stinkefingers' aufs Maul zu hauen? Ach was, dazu fehlt mir die Zeit, und auf die Schnelle den Totschläger im Kofferraum zu finden, ist in meinem Zustand auch nicht gerade einfach. Außerdem, was soll’s? Ist in mir doch eine angesoffene Ruhe, die ich mir nicht kaputt machen will. Eine Zeit von Frieden, ein wenig Freude und von viel abstrakter Endlosigkeit, die ich mir ab und an gönne. Allerdings werden solche Stunden und Tage immer nötiger und ich ziehe sie mir ohne Rücksicht auf Verluste auch rein. Zu Hause allerdings, oder dem, was davon übrig ist, schiebt sich vor mein ansonsten durchaus positives Denken immer dieses kleine Hochhaus voller leerer Flaschen und benutzter Gläser. Diese ausgesoffenen Flaschen, die sich dort immer höher türmen, mit meinem gierigen Atem gefüllt. Die entlassen mein Leben wie ein Schornstein an einem Wintertag, wenn der Dampf bis in den Himmel hinaufsteigt, um dann schaukelnd und schwankend dünner zu werden und zu fallen, wie ein Papierdrache ohne Wind. Diese Pein in mir, über die tausend Gläser und Flaschen - , die zerbrechen, zersplittern und manchmal im Todeskampf vom Boden hoch aufspringen, als wären ihre Körper aus Gummi. Diese weggeworfenen, enttäuschten Flaschen, die, wie ich weiß, ohne Empfindung sind, wie auch ich es bin, die angesoffen, weggesoffen, ausgesoffen, wie tot sind, die riechen, stinken - bröckelige Leichenleiber, die in Straßen aufschlagen, auf Teer oder Pflaster, auf Gras oder Gesträuch, der Länge lang nach in Abflussrinnen kollern, müde liegen bleiben, sterben. Ich. Die in tausend Reste zersprungen auf dem Müll landen, halb oder ganz in den Kanal oder die Spree geworfen werden, verloren, vergessen und voll heimlicher Wut. Die Erinnerungen beherbergen, Schuld verbergen, Schuld - die immer da ist. Scherben, die zur Nordsee schwimmen, immer obenauf, ins Meer, die erledigt sind, doch immer noch obenauf, egal wie, egal wo. Die weiter leben, wie versaute Taten, die man nicht los bekommt, die zwar taumeln, aber oben bleiben, sichtbar, ein Kork, - auch unten herum. Und immer ich. Ja, diese wundervollen Scheißflaschen und rotzigen Kotzgläser mit Lippenstift daran und Zigarettenspuren. Diese Gläser, Flaschen, Henkelmänner gefüllt mit Schnaps, Bier, Whisky - jetzt und seit Jahren Whisky - ich. Ich, der ich oft nicht ich war. Mit manchmal Magenbitter. Auch doppeltem Wodka. Wenig Tequila; Tequila nur manchmal, - wegen dem fummelig krümeligen Salz zwischen Daumenanfang und Fingergrube und der sauren Zitrone, die mir das Maul verätzt. Jedes Mal. Und weil es dauert; - wer hat schon Zeit zu solchem Trinken? Trinker nicht. Ich schon lange nicht! Allerdings macht Tequila keine Fahne; erst nach der ersten Flasche. Doch vorher ist man längst dun und dann stört die Fahne auch nicht mehr, und sowieso ist alles unwichtig... Noch früher hatte ich Chianti aus Korbflaschen, eine Modeerscheinung, wie ich mich erinnere. Diese Ströme von Chianti aus Flaschen mit dem dämlichen Korbzeugs drum herum, auf denen später Kerzen blakten, die grauschwarze Fäden gebaren, wie von Spinnen gewoben, um zu schweben, die auf Resten von Pizzas hängen blieben und blanken Hintern, auf Titten und meinem Schwanz, - wenn man zu Dutzenden auf dem Boden liegend saß, lange Haare trug, Bart, Gras rauchte, Amon Düll hörte und ernsthaft glaubte, frei zu sein. Was für ein Scheiß, wenn ich heute daran denke.
Doch nicht wegen dieser Scheiß Gedanken halte ich das Autofenster geschlossen, sondern weil mir danach ist. Auch das Radio schweigt, als ahnte es, was ich brauche. In diese begnadete Zehntelsekunde hinein genehmige ich mir einen Zug aus der Pulle. Ich weiß, ich weiß, andere haben es besser, können sich die Welt schön reden ... Lass sie, denke ich. Jeder langweilt sich wie er will. Außerdem ist’s mir egal, ich muss den Job tun, - Untersuchungshaftanstalt Moabit.
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Juli 2005 by michy köhn |
Kontakt zur Autor: Michael Köhn -
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