Dichter, Dilettanten und Dämonen

 

Anneliese Wipperling

Dichter, Dilletanten und Dämonen - Plaudereien über das Schreiben


ISBN-10: 3-86703-903-8
ISBN-13: 978-3-86703-903-1

Engelsdorfer Verlag - Paperback, Format: 21x15 - 192 Seiten, zahlr. sw. Abb. u. Zeichn.
Farbcover © Adriana Wipperling
Fotos © Adriana Wipperling

Bezug: Buchhandel oder http://www.engelsdorfer-verlag.de  -  Preis: 12,50 EUR

 

 

 


Klappentext:
Dieses Buch enthält 18 sehr persönliche Texte über die Freuden und Fallstricke der Schriftstellerei. 

Die Autorin selbst schreibt seit fast 40 Jahren: zuerst Lyrik, später Romane und Kurzgeschichten. Äußerst freimütig plaudert sie über Schreibblockaden, Anfängerfehler, nächtliche Heimsuchungen, cholerische Schreibzirkelleiter, DDR-Kulturpolitik, außerirdische Helden und Ideen klauende Ex-Freunde. Ihr kurzweiliger, selbstironischer, oft schonungsloser Umgang mit Erfolgen und Niederlagen, Verlagen und Literaturforen, kleinlichen Kritikern und eigenwilligen Romanfiguren macht diesen Band zu einem Leseerlebnis für Autoren und alle, die es werden wollen. 

"Dichter, Dilettanten und Dämonen" wird Anfängern weiterhelfen und "alte Hasen" zum Schmunzeln bringen.

 

 Leseprobe:

Licht und Schatten

 

Wir Menschen sind zwar – genetisch gesehen – eine einheitliche Spezies, aber das betrifft nur die reine Biologie. Das heißt, wir sind unabhängig von der Rasse gleichwertig und vollständig genetisch kompatibel.

Manche Dinge sind auf eine kuschelige oder beängstigende Art allgemein menschlich. Andererseits gibt es erhebliche kulturelle Unterschiede.

Die Kulturen haben wir selbst erfunden, was bedeutet, dass man nicht unbedingt damit rechnen kann, dass sie irgendwie Sinn machen – ganz im Gegenteil!

Lassen wir anderen Völkern großmütig ihre mehr oder weniger unlogischen Schrullen und widmen wir uns besser unseren eigenen Macken. Wir Deutschen sind nämlich verrückt genug. Was wir anpacken, erledigen wir fleißig, systematisch und vor allem sehr, sehr ordentlich.

Egal, ob es um Marktwirtschaft, Massenmord oder Kunst geht – bei uns wird nichts wild durcheinander gewürfelt, und Kompromisse halten wir für ein Zeichen von unverzeihlicher Schwäche.

Eine Komödie hat eine richtige Komödie zu sein, wo ein Brüller und Schenkelklopfer dem nächsten folgt. Eine Tragödie muss bitte sehr von vorn bis hinten zum Heulen sein – und wenn wir einen erotischen Film drehen, wird ziemlich häufig ein unästhetisches Dauergerammel daraus – pur und mit keinerlei Handlung oder Tiefsinn garniert. Schweinehälften halt, die mit wahrem Biereifer gegeneinanderprallen.

Dummerweise halten wir diese irrationale Besessenheit von der reinen Lehre für eine Tugend.

Andererseits können wir häufig die Ergebnisse unseres Purismus· nicht wirklich leiden. Wir rennen in Hollywoodschinken, geben uns willig ihrer Farbenpracht und sorgsam konstruierten Balance zwischen Tragik, Humor und Action hin und ignorieren mehr oder weniger die oft ziemlich krampfige deutsche Trennkost – die Besucherzahlen der Kinos beweisen es. Vor allem lieben wir die typisch amerikanischen Happy End´s!

In gewissen deutschen Künstlerkreisen ist es schick, Otto Normalverbraucher deswegen zu verachten und über seine frustrierende intellektuelle Schlichtheit zu lamentieren. All das berührt die Puristen halt nicht wirklich. Weshalb über Erfolgsmuster nachdenken, wenn es staatliche Förderung gibt?

Ich halte Kommerzialisierung beileibe nicht für ein Allheilmittel – das wäre mir viel zu einseitig gedacht. Aber es muss doch eine Möglichkeit geben, dem Leser entgegenzukommen, ohne dass die Geschichten an Substanz einbüßen!

Und könnte es nicht sein, dass manche durch den Verzicht auf Trennkost sogar gewinnen würden?

 

 

Schwarze Bilder

 

Wenn ich auf einer schwarzen Leinwand mit schwarzer Farbe male, entsteht ein unsichtbares Kunstwerk.

Wenn die Malerei pastos genug ist, kann ein Blinder damit eine Menge anfangen. Möglicherweise kann man sie sogar durch schräge Beleuchtung sichtbar machen, sodass zarte Reliefs aus Licht und Schatten entstehen.

Die Frage ist nur, ob es die Sache überhaupt wert ist. Immerhin muss man viel Zeit und Scharfsinn investieren, um irgendwann zu erkennen ... ja, was eigentlich? Womöglich irgendein abstraktes Gekrakel, aus dem niemand schlau wird?

Es kann natürlich auch sein, dass die Aussage des Bildes ausschließlich metaphorisch sein soll: bodenlose Trauer über die Schlechtigkeit der Menschheit, die Zukunft der parlamentarischen Demokratie oder gar das Böse an sich?

Jedenfalls nutzen solche Werke wie manche Hustensäfte vor allem dem Produzenten – es gibt tatsächlich jemanden, der mit schwarzen Flächen viel Geld verdient hat – und dabei sind sie weder ein Schmuck für die Wände, noch wirklich aussagekräftig.

Es gibt keine Kontraste, denen das Auge nachspüren kann, keine Komposition, die man mit zusammengekniffenen Augen aus der Ferne erschließen und keine interessanten Details, die ein Freund beschaulicher Nähe entdecken kann.

Das Prinzip "Schwarze Fläche" gibt es leider nicht nur in der Malerei oder im Film. Ich kenne auch eine Menge Bücher, zwischen deren Deckeln sich zu ungeahnter Reinheit destillierte Traurigkeit oder Lustigkeit befindet.

Ein Freund von mir pflegt in solchen Fällen das Wort lustig mit mindestens fünf ‚u' zu schreiben: luuuuustig! Das klingt sehr anschaulich nach einer kindischen Hupe.

Nein, luuuuustig ist nicht wirklich amüsant.

Puristische Bücher fliegen bei mir schon nach sehr kurzer Zeit in die Ecke. Das Leben ist viel zu kurz, um es sich mit fremder Seelenpein zumüllen zu lassen. Ich kann ihm oder ihr nicht wirklich helfen – vor allem, wenn das bedauernswerte Geschöpf schon ein paar Jahrzehnte tot ist – und ich habe an meinen eigenen Bürden genug zu schleppen.

Schwarze Bücher sind möglicherweise etwas für Masochisten oder für Leute, denen es so gut geht, dass sie einen Dämpfer gut gebrauchen können.

Und die gelben luuuuustigen Geschichten? Die werden ganz schnell langweilig. Es sei den, man liest jeden Tag maximal fünf Seiten.

Tragische, heroische, romantische, zärtliche oder tiefsinnige Geschichten: Es ist immer das Gleiche. Wenn die Mischung nicht stimmt, wird man ihrer ziemlich schnell überdrüssig.

 

 

Das Fell versaufen

 

Früher pflegten die Leute nach einem Begräbnis gemeinsam in die Kneipe zu gehen und sich ordentlich volllaufen zu lassen. Sie gaben damit dem dringenden Bedürfnis nach, diesen schwarzen Tag zu strukturieren und sich mit einer Barriere aus hektischer Fröhlichkeit davor zu schützen, dass die Trauer sie endgültig überwältigte.

Die Natur – auch die menschliche – ist niemals "ordentlich".

Wir müssen in tragischen Momenten zwanghaft lachen, Katastrophen machen uns gierig auf Post Desaster Sex, und manchmal sind wir so gemein, harmlose Leute mit makabren Bemerkungen aus dem Konzept zu bringen.

Ich gestehe, dass ich sehr gern im Beisein vornehmer alter Damen unanständige Ausdrücke gebrauche. Es ist so hübsch anzusehen, wie konzentriert sie sich bemühen, sie zu überhören, und mit welch vornehmer Diskretion ihre Augen entrüstet funkeln. Einfach unwiderstehlich!

Im wahren Leben ist eine chaotische Mischung von Gedanken, Gefühlen und Aktivitäten ganz normal. Wir fahren täglich unsere Achterbahn, quietschen ängstlich, wenn es steil nach unten geht, genießen weit oben die schöne Aussicht, und manchmal möchten wir nur noch kotzen.

Sogar nachts, wenn wir ruhig in unseren Betten liegen, träumen wir meistens chaotisches Zeug. Ich mag das Leben, und ich mag wilde, bunte Geschichten. Wohlgeordnete Trennkost wirkt auf mich fade, steril – und mausetot.

Offenbar gibt es auch in Deutschland viele Leute, denen es ganz genauso geht. Sonst wären irische Skurrilität, britischer schwarzer Humor und die farbenfrohe lateinamerikanische Fabulierkunst hierzulande nicht so erfolgreich.

 

 

Selektive Wahrnehmung

 

Autoren sind auch nur Menschen. Menschen mit Familien, Haustieren, persönlichen Erfahrungen, mehr oder weniger guter Bildung, Vorurteilen, Glaubensgrundsätzen – und im schlimmsten Fall mit einer Ideologie.

Religion ist ein Akt der Unterwerfung, eine Möglichkeit, wenigstens einen Teil der Verantwortung auf eine höhere Instanz abzuwälzen und die Hoffnung auf Hilfe in ausweglosen Situationen. Religiöse Menschen können durchaus in der Lage sein, die Realität in ihrer Komplexität zu erfassen. Sie wissen ja, wie unordentlich und sündig das irdische Leben ist, und ihr Glaube bezieht sich auf Fragen, die sowieso niemand beantworten kann.

Ideologie ist jedoch etwas anderes: eine Art systematischer Purismus, den man ohne selektive Wahrnehmung nicht aufrecherhalten kann. Über politische Ideologien ist schon viel geschrieben worden – aber es gibt sie nicht nur dort.

Reden wir über Ideologie in der Kunst. Auch das ist ein weites Feld. Es wimmelt von "Ismen" aller Art, und dauernd werden neue erfunden. Hach, was sind wir doch makellos rein und überaus originell!

Je weiter sich der "Ismus" vom wahren Leben entfernt, um so protziger und selbstgerechter kommt er daher.

Ideologen in Politik und Kunst sind niemals bereit, auf ihr Publikum zuzugehen. Nein, sie erwarten allen Ernstes, dass die Menschheit sich ihnen zuliebe ändert.

Was sie brauchen, ist der einzig wahre Sozialist, Bürger, Leser, Zuschauer oder was sonst noch. Werdet zu Idealbildern unserer Ideologie, und alles wird wunderbar!

Wir wissen, was derartig manipulierte und missachtete Menschen irgendwann tun: Sie schmeißen die Ideologie samt den Ideologen über Bord. Wenn alles gut geht, wenden sie sich dann dem wahren Leben zu – wenn nicht, einer neuen Ideologie.

Ein künstlerischer Purist wird immer das ignorieren, was nicht zu seiner Ideologie passt: das nackte Grauen hinter dem Galgenhumor, die Katze, die während einer Beerdigung seelenruhig auf dem Nachbargrab ihre Hinterlassenschaft verbuddelt, die unsägliche Lächerlichkeit gewisser militärischer Rituale.

Die Liste ließe sich endlos fortsetzen. Ideologen malen, schreiben oder komponieren nur für ihresgleichen oder für Mäzene, die in erster Linie eine Geldanlage suchen.

Wert und Marktwert sind hier leider so gut wie nie identisch.

 

 

Dem Leben zuliebe

 

Gute Geschichten sind immer wahre Geschichten, und damit meine ich nicht, dass sie wirklich passiert sein müssen. Nein, ich meine Geschichten, die unter den festgelegten Bedingungen möglich wären, Geschichten von Personen mit realistischen Charaktereigenschaften, von Gesellschaften, in denen die Grundkonflikte intelligenter Lebewesen ausgetragen werden – Geschichten, die von der ganzen Fülle des Daseins erzählen.

Es kommt auf die ausgewogene Mischung aus Licht und Schatten an, auf kühne Linien und inspirierende Kontraste, auf gnadenlosen Realismus und jene Prise Humor, die man braucht, um das Entsetzen zu überleben.

Guerillakämpfer reißen vermutlich am Lagerfeuer gern Witze, kein romantisches Paar kommt um die üblichen Rangordnungskämpfe herum, und der alte Affenpascha steckt in so manchem hoch intellektuellen Professor.

 

 

Das unbekannte Wesen

 

Kein Autor weiß, wer seine Bücher kauft oder herunterlädt, wie viel derjenige versteht und was er letztendlich damit anfängt.

Wenn er sehr einseitig interessiert ist, kann es passieren, dass er die tiefsinnigsten Gedanken einfach überblättert und sich nur Gemetzel herauspickt – oder Sexszenen. Man kann nicht verhindern, dass er sich mithilfe von zwei oder fünf Prozent deines Buches einen schönen Abend macht und das Buch anschließend verschenkt oder in den Müll befördert.

Muss man deswegen für Sadisten oder Fetischisten schreiben? Sie sind mit Sicherheit nicht die Mehrheit und der Gedanke daran, ihre Macken womöglich noch zu verstärken, ist ziemlich unbehaglich.

Eigentlich gibt es nur zwei akzeptable Zielgruppen: Seelenverwandte – falls man selbst ein Mensch mit extremen Ansichten oder Bedürfnissen ist – oder ganz normale Mitmenschen.

Letztere können alles Mögliche sein: Sonnenanbeter, Programmierer, Lagerarbeiter, Verkäuferinnen, Busfahrer, Manager, Laboranten, Maler, Mathematikprofessoren, Grundschullehrer, Soldaten, Hausmeister, Milchbauern, Politiker, Zirkusartisten, Gärtner, Bademeister, Rentner, Studenten oder sonst was.

Je mehr Ebenen und Facetten deine Geschichte enthält, um so breiter wird das Spektrum deiner Leser, denn jeder wird sich und seine Erfahrungen auf die eine oder andere Weise wiedererkennen.

Nicht jeder wird alles, was du hineingepackt hast, finden. Aber das ist nicht wichtig. Jeder, der sich deiner Geschichte unbefangen nähert, bereit ist, dir zuzuhören, sollte dir willkommen sein.

 

 

Fazit

 

Mit prallen, bunten, kontrastreichen Geschichten erreicht man mehr Leser, als mit reinen Destillaten bestimmter Ansichten, Stimmungen oder Situationen, kann die Vielen da draußen eher zum Nachdenken, Träumen und Lachen anregen, ihnen Kraft, Inspiration und eine unverkrampfte Sicht auf die Welt schenken, ihnen die elenden Klischees, mit denen sie von allen Seiten zugeschüttet werden, bewusst machen und ihnen zeigen, wie befriedigend es sein kann, selber zu denken.

Der Musiker Arrak Rinar vom Planeten Talur hat es auf den Punkt gebracht: "Das Größte ist, wenn dich alle singen: Kanalarbeiter und Thals·, Architekten und Bauern, Greise und Jugendliche, Männer, Frauen und Kinder. Nur dann bist du wirklich gut!"

Dem ist nichts hinzuzufügen.


 

· „... Übertriebenes Bestreben ... ein Kunstwerk von stilfremden Elementen zu reinigen.“ (Knaurs Fremdwörterlexikon München 1982) 

· Arrak Rinar ist ein Charakter aus meinem Heyla-Universum. Thal: Ein hoher Offiziersrang auf dem Planeten Talur.

 

Kontakt zur Autorin: Anneliese Wipperling -  cthia@gmx.de
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