Dombesteigung |
An sonnigen Tagen wie dem heutigen, bei blauem Himmel und Temperaturen die einem das Schwitzen beibringen, ragte der Kölner Dom hoch hinaus, fast bis zu den Sternen, so könnte man meinen. Unten auf der Domplatte stehe ich, groß von Gestalt, aber dennoch winzig klein vor Gottes Gnaden aus Stein. Im Poloshirt und blauer Jeans, den Kopf in den Na- cken verrenkt, blinzle ich durch die Sonne, zum strahlenden Gipfelkreuz. Schwärme blauer Tauben, die hastig jeden noch so kleinen Krümel picken und gurrend da- von fliegen, locken meistens kleine Kinder, auch Mädchen mit langen, blonden Haaren. Sie spielen mit den Tauben, im frischen Wind. Füttern und verscheuchen, wann immer sie können, mit dem süßen Lächeln des Kindes. Die Mütter stehen nicht weit entfernt, wachen mit scharfen Augen und strenger Miene. Dennoch: Mein Blick fällt wieder auf den Dom. Der Wind bläst mit hundert achtzig und meine Haare wirbeln durcheinander und stehen hoch wie die Flut. „Turmbesteigung“ steht da irgendwo auf einem Schild. Drei Euro Eintrittspreis, für eine sportliche Bestei- gung ohne Garantieschein. Dreißig Zigaretten am Tag dürften das Ende aller Gi- pfelträume sein, aber die Lust packt mich von hinten und greift um sich wie eine Tellermiene. Ich glühe vor Begeisterung, wie ein Soldat kurz vor einem Angriff und marschiere los, mit großen Schritten. Im Dom angelangt, schallen Stimmen aus allen Richtungen, als wären sie von Gott persönlich. Angenehme Kühle erfasst mich erfrischend an den Ohren, ehe ich die enge Treppe sehe, die sich drehend im Kreise empor rankt. Der Kassierer an der Kasse, wünscht mir noch schadenfroh“Alles Gu- te“ und ich höre schon das Keuchen herabsteigender, die wie aus verbeulten Lungen sprechen. Noch einmal holte ich tief Luft, so als würde ich auf einem drei Meter Sprungbrett stehen. Ein kurzes Stoßgebet an Gott und die Reise kann beginnen. Hastig steige ich Stufe um Stufe, fresse sie mit Haut und Haaren und vernehme dann fremde Worte. Junge Französinnen, bestimmt zehn Jahre jünger als ich, ja- gen an mir vorbei, das einem nur so schwindlig wird. Ein Dröhnen pfiff durch meinen Schädel, als würde ich tausend Tode sterben. Nach zehn Minuten geht mir die Puste aus. Ich denke nach und dabei an den ehemaligen Bayern-Trainer Tra- pattoni. Wie sagte er noch „Alle Flaschen leer“! Aber wie die Bayern Spieler will ich nicht sein. Kämpfen, Kämpfen,Kämpfen, so lautet die richtige Losung.Die an- deren kochen auch nur mit Wasser, denke ich bei mir -, denn mein Wille war nicht gebrochen, hatte nur einen leichten Knacks erlitten. Fünf Minuten später bin ich wieder auf den Beinen, - voller Tatendrang und Zuversicht. Der Dombrobst würde mir jetzt sicherlich Mut zu sprechen und die Hände zum Gebet falten. Den Mann kann man nicht enttäuschen, weiter geht es, auch wenn nicht im Sauseschritt. Die letzten Stufen sind wieder die Hölle. Mein Herz droht zu zerspringen und pocht wie eine Nähmaschine. Rheinhold Messner der Gipfelstürmer kennt das nur zu gut, das aufregende Gefühl, dem Gipfel so nahe zu sein. Eine Minute später geht der Traum in Erfüllung. Geschafft! Ich fühle mich wie auf dem Mount Everest – dem höchsten Berg der Welt. Ich schwanke, aber falle nicht. Den Ausblick auf die Stadt Köln von hier oben, sollte man gesehen haben – einfach einzigartig. Nur ein längerer Blick nach unten, auf die Domplatte erzeugt einen Drehschwindel, als würde ich im Zentrum eines Orkans stehen. Ich könnte mir die Lunge aus dem Leib kotzen, als es mir plötzlich mit einem Male wieder besser geht: so wie eine schwangere Frau, die zwischen Erbrechen und Glückseligkeit wandelt. Eines jedoch hatte ich vergessen und das war der unvermeidbare Abstieg. Der Aufstieg folgt dem Abstieg in logischer Folge, wie der reife Apfel von einem Baum fällt. Der Fall in die Tiefe, kann tödlich sein -doch wenigstens geht es schnell und sollte schmerzlos sein. Zum Abgewöhnen in jedem Fall, aber unumgänglich. Der Abstieg würde kürzer sein, das beruhigte mich wenigstens bis zu einem gewissen Grad. Am liebsten wäre ich die Treppen herunter gesprungen, in der Manier eines australischen Kängurus, will sagen: Ich war kurz davor über zuschnappen! Das gelang mir aber nicht, stattdessen schnappte ich nach Luft, wie ein zappelnder kleiner Fisch, in den Fängen eines Fischers. Einen Zungenbrecher wiederholte ich einige Male um mich abzulenken und sagte vor mich hin: „Fischer's Fritze fischt frische Fische, frische Fische fischt Fischer's Fritz“. Das Ablenkmanöver war aber nicht von Erfolg gekrönt. Ich rutschte aus und kugelte die Treppe herunter, das selbst der Besuch auf dem „Ranger“, ei- nem Überschlagskarussell, dagegen ein glatter Witz gewesen wäre. Sei es drum! Nachdem ich friedlich gelandet war und ausgesehen haben muss wie jemand von einem anderen Stern, kam es mir vor, als sei ein ausgewachsenes Pferd über mich hinweg galoppierend. Dann musste ich lachen. Ein Lachen, das durch die Mauern des Domes donnerte wie ein greller Blitz, der einen ganzen Baum umgehauen hätte. Zum Glück jedoch, hatte ich mir nichts gebrochen und außer ein paar blauen Fle- cken und einer Schürfwunde, war alles heil geblieben. Ich dankte dem Herrn für sein gnädiges Urteil, und setzte mich wieder in Bewegung. Der Abstieg verlief nun planmäßig, ohne weitere Vorkommnisse, so als würde der heilige Geist mir den Weg ebnen. Die Erlösung folgte eine Weile später. Die letzte Stufe war erreicht, ich küsste sie aus Dankbarkeit als die Letzte zu betretende. Das letzte Kapitel der Turmbesteigung war vollendet und mit großer Erleichterung verließ ich den Dom und trat hinaus zurück in die Freiheit.
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Kontakt zum Autor: Wilhelm Westerkamp -
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