Pariser Notizen 1980

 

EIN DICHTER MUSS DICHTEN
Kušič ist heute in Paris angekommen, mit dem Mädle und Onkel Manfred und seiner Kusine. Rambazamba in der U-Bahn; unterm Eiffelturm 12 Karten gefunden. Kreuz und quer, Türme, Plätze etc.
Ein schönes Zimmer in einem billigen Hotel. Doppelzimmer mit einem Schrank neben dem Bett, der an den Türen je einen Spiegel trägt. Man ist müde.
Das Zimmer verleitet Kušič zum Träumen. "Wie in einem alten französischen Spielfilm!"
Ein Dichter in einem alten Zimmer, ein wackliger Tisch, klein, mit Decke, ein durchgerammeltes Bett, in der Mitte herabhängend, der Spiegelschrank, eine rosarote Blumentapete, Waschbecken. Höhepunkt eine mickrige Lampe; Birne wackelt im Gewinde, halber Kurzschluss im Schalter, tellerförmiger Plastikschirm. Hach, wie romantisch.

LEUTE
Neger: Männer stark, kräftig, elegant, drahtig; Frauen hübsch, erotisch, mit krausem, zu Locken gedrehtem Reggaehaar.
Viele Arme; Müllabfuhr, Arbeiter, Alte Gammler, Bettler, Musikanten in den Metrostationen und an Straßenecken. Geschäftsleute, Anzug, Krawatte, Köfferchen und
Touristen, massig in Horden, vor allem Deutsche. In Bussen, Autos, zu Fuß, perfekt über die Stadt verteilt, an jedem Ort, in jeder Kirche, bei jeder Sehenswürdigkeit: Fotoapparat gezückt und entsichert. Eine gesichtslose, untersetzte, vom Wohlstand aufgedunsene Frau vorm Eiffelturm oder Triumphbogen.
Sie füllen die Metro bis zum Rand; sie verderben mir Tourist das Touristsein. Was soll ich denn noch ansehen und fotografieren, wo essen und trinken. Viele Einwohner sind auf Nepp eingestellt, verständlich. Hätten Sie das nicht getan, gerade Sie?
Die Polizisten ordnen, die Arbeiter arbeiten, die Geschäftsleute sind geschäftig, die Verkäufer verkaufen, die Touristen sind überall.

EIN MANN
Bestes Altergutbürgerlich, vor einem Restaurant: "Mon dieu, quèl siècle!"
Mein Gott, welch ein Jahrhundert.

MORRISON HOTEL 2
Am letzten Tag, Friedhof Père-Lachaise, haben wir dich besucht, Jim, haben dein Grab gesucht. Inmitten tausend Toter fanden wir es, aus dem sie dich schon lange verlegten.
Selbst da du tot bist, schürst du noch Unruhe, sieh dir die Grabsteine an um deine verwahrloste Höhle herum, alle kamen sie, soffen für dich und weinten vielleicht. Und sie beschmierten all die Monumente der Menschen, die besser waren als du und älter wurden.
Und du liegst woanders verscharrt. Möchtest du nicht wieder kommen und singen, saufen, gifteln und Mädchen nachstellen und leben?
Du könntest die erste Zeit bei uns wohnen, wir haben drei Zimmer. Komm, spring raus! Oder hast du dich an die Ruhe gewöhnt? Aber, nicht wahr - du hast sie doch gehört, wie sie auf deinem Grab rumtrampelten, weil sie dich vermissten und..
Ich hab dich im Fernsehen gesehen. Warst wohl bekokst, man hat's dir angesehen. Stimmt, geht mich nix an, aber du kannst doch nicht einfach in die Badewanne liegen und an Herzversagen sterben, Mann.

Wir stehen um das Loch, Blumenstöcke hingekotzt,
eine zerbrochene Weinflasche, die Schrotthalde eines Lebens.

GEGEN ENDE
Es läuft sich langsam tot.
Paris, die Stadt der Liebe, es ist
hübsch. Doch jetzt genug Metro, Leute, Kultur.

Der letzte Abend in der Stadt, ein Bier oder zwei,
vier Metrokarten zu verfahren.
Keine besonderen Vorkommnisse.
(Zwei nette Negermädchen gesehen.)

Seltsam, die Stadt fesselt mich, ich werde
wiederkommen.

(Kušič und Marian sind "alter egos", Pseudonyme)

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