Auf nach Sofia

Wir waren in Sofia angekommen. Per Autostop und Zug, und nach kurzen Zwischenstops in Prag und Budapest, hatten wir es in etwa zwei Wochen geschafft, die bulgarische Hauptstadt zu erreichen. Der schwierigste Teil der Strecke war wieder einmal Rumänien gewesen, obwohl wir hier lediglich entlang der Schwarzmeerküste den Daumen in den Wind hielten. Aber allein die Fahrt mit dem Zug bis dahin erforderte Kraft, das Ganze glich einem Trip in die Vergangenheit. So mussten die Zugreisen im Deutschland der Jahre nach dem Krieg gewesen sein. Auf engstem Raum zusammengepfercht, mit Sack und Pack und Federvieh, reisten die Leute selbst auf den Trittbrettern der Ausstiege.

Trotz der landschaftlichen Schönheit Rumäniens, aus der ich mir aber nie viel gemacht habe, ich mochte dieses Land nicht. Sei es die schreiende Armut der Bevölkerung gewesen oder die offen zutage tretende Diktatur der Familie Ceausescu, die einem auf Schritt und Tritt in Form riesiger Plakatwände mit dem Jugendbildnis des "Conducators" Nicolae Ceausescu oder Parolen wie "Ceausescu -  Held der Revolution" und "Ceausescu = Kommunismus" begegnete, oder in Persona der ständig patrouillierenden Polizei- und Militärstreifen, oder sei es die offensichtliche Korruption innerhalb jeder Bevölkerungsschicht gewesen, deren Opfer man auch als Tourist werden konnte, die man sich aber auch zu nutze machen konnte, sei es dies oder das gewesen, ich mochte das Land nicht.

Einmal, kurz vor der Grenze nach Bulgarien, holte uns eine Streife sogar aus einem Wagen, den wir per Anhalter aufgerissen hatten. Auf offener Straße, es war bereits nach 19 Uhr, postierte sich die Streife, hielt "unseren" Wagen an. Passkontrolle. Dem Typ am Lenkrad stand  der Schweiß auf der Stirn. Der rumänische Staat mochte es nicht, dass seine Bürger Kontakt zu Ausländern hatten, auch wenn diese aus einem kommunistischen Land kamen.

Na ja, irgendwas quatschte der Fahrer mit einem der beiden Soldaten ab, und dann sah ich noch, wie ein 100-Lei-Schein den Besitzer wechselte. Er konnte weiterfahren.

Ohne uns. Jens und mich hatten sie zuvor aus der Karre geholt. Mit ausgestreckten Armen und gespreizten Beinen standen wir nun an einem Baum, während die eine Uniform damit beschäftigt war, unsere Körper abzutasten, und die andere, mit der Knarre im Anschlag, die Sache "absicherte".

Sie fanden nichts Bedenkliches, keinen "Stoff", keine Waffen, kaum Kohle, nur Zigaretten, Marke Marlboro. Ich wusste, die Rumänen waren scharf auf das Zeugs, wie ein Junkie auf den nächsten Schuss.

Der Drang der Rumänen nach Marlboro und Dollars war in der DDR allgemein bekannt, das Zeug war in dem Land so was wie eine zweite Währung. Deshalb hatte wir in Prag vorsorglich ein paar Schachteln dieser Zigarettenmarke, die auch für uns nicht gerade preiswert war, gekauft.

Ich drückte dem "Abtaster", der anscheinend auch der Ranghöhere der beiden war, ein Päckchen in die Hand:     

"It`s for you, my friend" , sagte ich im schlechten Englisch.

Er strahlte mich an, mit seinem gebräunten Gesicht ... und mit seiner Taschenlampe, als wolle er sich an meinem erhellten Gesicht vergewissern, dass er richtig verstanden hätte.

Ich nickte ihm zu.

"It`s for you", wiederholte ich.

"Thank you ... my friend", antwortete er in einem Englisch, das noch miserabler als das meine war. Aber wir verstanden uns. Jens und ich hatten ihn für uns gewonnen. Wir machten ihm klar, dass wir auf dem Wege nach Bulgarien wären.

"No Problem", sagte er.

Dann rauchten wir jeder eine aus seiner gerade erworbenen Zigarettenpackung.

Etwa zehn Minuten später sahen wir einen auf uns zukommenden Reisebus. Die Landser postierten sich wieder auf der Straße, brachten den Bus zum Stehen. Der Fahrer öffnete die Tür, ließ die beiden einsteigen.

Es war eine heftige, aber kurze Diskussion. Irgendwie schien der Fahrer kein großes Interesse zu haben, Jens und mich mitzunehmen, bis unser "Freund" seine Maschinenpistole durchriss und dem Kerl auf die Brust setzte. Diskussion beendet, wir stiegen ein, fuhren bis zur Grenzstation mit, kostenlos.

 

Und nun waren wir also in Sofia. Die Fahrt per Anhalter durch Bulgarien erwies sich als wesentlich einfacher. Die Leute waren sehr zuvorkommend, man musste selten lange an einer Stelle stehen.

Jens hatte kurzzeitig mit einem Sonnenstich zu kämpfen, aber das ging schnell vorbei. Er lag im Schatten eines Baumes, leise Töne des Leidens ausstoßend, während ich den Daumen in den Wind hielt. Das hatte wiederum den Vorteil, eine Art Mitleidsbonus bei den Leuten zu haben. Allerdings gibt es in Bulgarien ein Problem. Es dürfte wohl das einzige Land auf der Welt sein, in dem die Gesten der Zustimmung und Verneinung umgekehrt zu unseren sind. Das heißt, bei Zustimmung schüttelt ein Bulgare mit dem Kopf, bei Verneinung nickt er. Man gewöhnt sich nur schwer daran, und so kam es des öfteren vor, dass uns die eine oder andere Tour durch die Lappen ging.

Ich hielt einen Lkw an, fragte:

"Nach Varna?"

Der Fahrer schüttelte mit dem Kopf.

"Scheiße. ... Na denn mach’s ma´ jut", schlug ich die Tür zu.

Er schaute mich etwas verständnislos an, aber schließlich gab er Gas.

"Mensch, der wollte nach Varna", brummelte Jens aus seinem Schattenreich hervor.

"Wieso, der hat doch Nein gesagt", antwortete ich.

"In Bulgarien heißt das Ja, wenn einer mit dem Kopf schüttelt."

"Scheiße, du hast Recht."

Na ja, irgendwie kamen wir schließlich doch nach Varna am Schwarzen Meer. 

Aber jetzt waren wir in Sofia. Wir waren nur wenige Tage am Schwarzen Meer geblieben, aber die Erholung war dringend notwendig, und das Bad. Wir hatten gestunken, wie die alten Männer, irgendwann versagte schließlich auch das beste Deo.

Wir suchten uns einen Zeltplatz, bauten unsere Zelte auf, und dann nichts wie an den Strand. Die bulgarischen Girls sahen wirklich klasse aus, leider waren sie etwas prüde. Aber schließlich waren da noch die anderen ausländischen Frauen, meist aus Ungarn oder unseren Gefilden. Auch bei ihnen gab es einige Schmuckstücke, vor allem zeigten sie Brust. 

Wir genossen die Zeit, und auf dem Plan standen: Sommer, Sonne, Alk und Girls.

Na ja, mit den Girls wurde es nichts, die waren meist mit ihren Typen da, aber es gab genug Wein und Bier, auch wenn der bulgarische Gerstensaft nicht die erste Sahne war. Besoffen wurde man jedoch auch davon.

Wir hatten vorgehabt, eine ganze Woche am Meer zu bleiben. Es wurden nur vier Tage. Eine Freundin hatte uns vor unserem Trip gesagt, dass sie zum selben Zeitpunkt in Sofia sein würde.

"Mensch, da könnten wir uns doch mal treffen."

"Klar", sagte ich, "wird bestimmt prima."

Schließlich gab sie uns eine Telefonnummer, unter der wir sie in Sofia erreichen könnten. 

Sofia. Ich freute mich auf das Treffen mit Jeanette. Sie war nicht unbedingt mein Typ, aber ich mochte sie, und außerdem hatte sie ne prima Figur. Ich war seit 3 Wochen ohne Frau, meine eigene Freundin war Zuhause geblieben - "Is ´ne Herrentour, Baby. Musste verstehen, okay ?"-,  warum also nicht Jeanette. Ich machte damals wahrscheinlich gerade meine Machophase durch, aber ich fühlte mich gut dabei.

Jens und ich gingen zum Bahnhof, Treffpunkt der Gestrandeten, Außenseiter, Trinker, Einsamen, in jedem Land, in jeder Stadt.

Ich rief Jeanette an. Es meldete sich niemand.

"Und, was ist?" fragte mich Jens.

"Weiß nicht, geht niemand rann."

"Vielleicht ist sie nur mal kurz weg."

"Ja, vielleicht", sagte ich.

"Komm, lass uns in die Stadt schauen."

"Okay."

Sofia war eine hässliche Stadt, zumindest damals im Jahr 87. Dreck, verfallende Häuser, Straßenlärm. Na ja, bei uns sah es schließlich auch nicht viel besser aus, und eigentlich mochte ich solche Städte, aber das war doch zuviel. Wir landeten vorm Dimitroff-Mausoleum, hatten aber keinen Bock, uns die eingewachste Mumie des Kommunistenführers anzuschauen.

Also suchten wir uns ein Straßencafe´. Es war mehr ´ne Art Kneipe in einem Seitenhof, aber es gab zu Essen und Trinken. Das Bier schmeckte nicht besser als in Varna, die Bulgaren hatten einfach keine Ahnung vom Brauen. Aber irgendwann war das egal. Betrunken torkelten wir zum Bahnhof zurück. Wir mussten Jeanette erreichen, sie war unsere Unterkunft für die kommende Nacht.

Ich rief an. Wieder nichts. Ein paar Mal versuchte ich es noch, jedes Mal Fehlanzeige.

"Scheiße, die Braut lässt uns hängen."

"Ich hab’s doch immer gesagt, auf Weiber ist kein Verlass."

"Und nun ?"

"Was nun ?"

"Wo wir jetzt pennen ?"

"Auf’m Bahnhof. Wo sonst."

Ich hatte Knast. Irgendwo musste ich was zu Beißen kriegen. Unsere eigenen Reserven waren aufgebraucht. Vor dem Bahnhof fand ich einen Imbiss-Stand. Der Typ weigerte sich jedoch mir etwas zu verkaufen. Er mochte meine Haare nicht, und meine Klamotten. Der Punk hatte Bulgarien eben noch nicht erreicht. Irgendwo bekam ich dann aber doch noch was zwischen die Zähne.

Aber nun kam das nächste. Ich musste scheißen, unheimlich scheißen. Irgendwas drückte mir gewaltig auf den Darm. Wahrscheinlich war es das Gesöff, das man hier Bier nannte.

Ich rannte zum Bahnhofsklo. Das wirklich "Nette" am Scheißhaus war, dass die einzelnen Kabinen kaum vom Vorraum getrennt waren. Lediglich eine Schwingtür, ähnlich wie man sie als Saloontür aus zahlreichen Western kennt, trennte die Box vom Publikum davor. Sämtliche Hütten waren besetzt, und so verbrachte ich die nächsten 5 Minuten damit, meinem Vorgänger  beim Scheißen zuzusehen. Dann war ich dran. Drinnen stank es wie in einer Güllegrube. Stehklos eben. Man hockt sich einfach über ein kleines Loch, na ja, und dann muss man ziemlich genau zielen. Einige meiner Vorgänger schienen da so ihre Probleme gehabt zu haben. Besagte Mini-Öffnung war umringt von kleinen Kackhaufen und benutztem Papier, und es war nicht ganz einfach, die Füße zu platzieren, ohne in einen dieser Haufen zu treten.

Als ich das Kabuff verließ, wartete bereits meine Ablösung in Gestalt eines ziemlich fetten, stark schwitzenden Kerls. Er schien es ziemlich eilig zu haben. Mir war es egal, ich hatte mir Erleichterung verschafft.

Schließlich machten wir es uns auf dem Fußboden der Wartehalle bequem. Umringt von Zigeunern, wartenden Reisenden und dem Ausschuss des Arbeiter- und Bauernstaates schliefen wir in unseren Schlafsäcken ein. Irgendwann scheuchten uns die Bullen hoch, es war überall das gleiche.

Auch am nächsten Tag war von Jeanette nichts zu hören. Die letzte Nacht steckte uns noch ziemlich in den Knochen, allmählich begann der Frust. Sofia wurde immer öder, die Stadt hatte nichts zu bieten. Den größten Teil des Tages brachten wir mit Trinken zu, aber wir hatten kaum noch Kohle, und schließlich, wie lange sollten wir noch auf die Schnecke warten.

"Morgen hauen wir ab. Ich sag dir, ich hab die Schnauze gestrichen voll, von der Stadt und von der Braut."

Ich stimmte ihm zu. Na ja, eine Nacht auf dem Bahnhof würden wir schließlich auch noch überleben, und dann nichts wie nach Hause. Unsere Zugtickets hatten wir bereits. Aber was sollten wir noch am heutigen Abend machen?

Jens erwies sich als Zauberer. Aus seinem Rucksack zauberte er eine Flasche Wodka hervor, echter russischer.

"Wo haste denn die her?" fragte ich.

"Hab ich die ganze Zeit dabei gehabt."

"Und warum sagst du das erst jetzt?", fragte ich, ziemlich empört.

"Hab ich für harte Zeiten aufgehoben. Und die haben wir jetzt doch wohl, oder? Stell dir mal vor, wir hätten das Zeug schon vorher nieder gemacht."

Ich musste ihm Recht geben.

Auf dem Bahnhof lernten wir noch einen Kerl kennen, ebenfalls aus Ostdeutschland. Man erkannte die Typen sofort, an ihren Stoffbeuteln mit Hirschkopf, an den Sandalen Marke "Jesus-Latschen", an den gefärbten Maurerhosen, einfach an allem.

Aber er hatte uns angequatscht. Offenbar entsprachen auch wir dem Bild des typischen Zonis. Na, wie auch immer, wir kamen in Gespräch.

"Habt ihr ´ne Ahnung, wo man hier pennen kann?"

"Auf’m Bahnhof. Wir haben schon eine Nacht hinter uns."

"Scheiße. Was macht ihr denn heute Abend noch?"

"Weiß nicht. Wahrscheinlich werden wir uns die Birne zuknallen, um die Nacht zu überstehen."

"Und wo, habt ihr noch Kohle?" fragte er.

"Nee, aber Jens hat noch ´ne große Pulle Ruß. Echter russischer Wodka", sagte ich mit einem Stolz, als würde es sich dabei um eine originale 42er Stalingrad-Abfüllung handeln.

War es Zufall oder war es eine Eingebung des Herrn, der Typ hatte noch 2 Pullen Wein in der Tasche. Damit ließ sich was machen. Wir luden ihn ein, sich uns anzuschließen.

Dann verzogen wir uns in einen Park in der Nähe des Bahnhofs. Zwar war es bereits stockfinster, aber wir wollten es vermeiden, in der Wartehalle, umringt von den durstigen Blicken der zahlreichen Penner und Alkis, unsere Flaschen zu leeren. Es war weniger Mitgefühl, eher Geiz.

Wir nahmen die ersten Schlucke aus der Schnapsflasche. Das Zeug schmeckte grauenvoll, ich hatte mir nie viel aus Wodka gemacht, aber es wirkte. Dazu rauchten wir unsere letzten deutschen Kippen. Jens und ich hatten jeder eine Stange mit auf Tour genommen, das Kraut in Rumänien und Bulgarien konnte einfach kein Mensch rauchen. Kastanienblätter pur.

"Wie heißt´n eigentlich ?" fragte ich den Typen.

"Mike. Und ihr?"

Ich stellte uns vor, und dann:

"Und wo kommste her?"

"Aus Löbau."

Löbau? Den Ort kannte in der DDR jeder, der bereits seine Zeit bei VEB Gleichschritt abgerissen hatte. In Löbau wurden die Idioten produziert, die schließlich mit der Macht des Vorgesetzten zur Truppe einrückten. Das Kaff war Standort der Offiziershochschule der Nationalen Volksarmee.

Mike sah nicht unbedingt wie einer dieser Kandidaten aus, auch wenn die kurz geschorenen Haare darauf deuten konnten.

"Bist du etwa bei der Asche?"

"Nee, biste verrückt. Ich bin geborener Löbauer, echt."

"Siehst auch nicht so aus. ... Komm, reich noch mal die Flasche rüber !"

Wir hatten bereits ein Ding an der Glocke. Die Flasche Wodka war hinüber, unsere Stimmung nicht. Mike konnte erzählen, wirklich gut erzählen, und er quatschte über Sachen, die uns interessierten: Frauen.

"Ich sag euch, die Braut hatte Glocken. Die hätten ausgereicht, um einen ganzen Kindergarten satt zu kriegen. Groß wie ´n Kuheuter. ... Und da hab ich diese Dinger in der Hand, und ..."

"Hey, seid mal kurz ruhig!" unterbrach ihn Jens.

"Halts Maul, Mann!", raunzte ich ihn an, "Er kommt gerade zum spannenden Teil."

"Jenau", lallte Mike.

"Haltet doch mal kurz die Schnauze", schnauzte Jens zurück, "hört ihr denn nichts?"

"Nee."

Aber dann hörten wir es. Es war so was wie Gekicher und leises Jauchzen und Stöhnen.

"Hey, ob das Weiber sind?", fragte Jens.

"Da ficken welche", antwortete Mike.

"Is ja geil."

"Los, guck doch mal hin", sagte ich zu Jens.

"Mach ich doch glatt. Immerhin ist das hier ein öffentlicher Park, oder nich? Und da kann ich hin latschen, wo ich will."

"Jenau", riefen Mike und ich im Chor.

Jens, der Spanner, latschte los, während wir uns weiter an Mikes Wein vergnügten. Er erzählte weiter:

"Also, wie gesagt, die Alte hatte Dinger, da träumt die ganze Fachwelt von. Mindestens zwei Kilo  das Stück, sag ich dir. Und auf einmal hab ich die Teile in der Hand ..."

"Hey Leute, wisst ihr, was da los ist ?"

Es war Jens. Ausgerechnet jetzt. Wahrscheinlich würde ich nie erfahren, was nun zwischen Mike und der Tante mit den Riesen-Titten abgelaufen war.

"Hey, das ist ´n Schwulentreff."

"Was?!"

"Ich sag euch, da ist ´n Treffen von Tunten. Da hinten is ´n Männerscheißhaus, da latschen laufend irgend welche Kerle rein. Und dann quieken sie wie die Schweine. Wenn da nicht die Post abgeht, dann will ich Honecker heißen."

"Hallo Honni", scherzte ich.

"Wirklich, Mann!"

"Woher willste denn das wissen. Warste etwa drinnen ?"

"Ich bin doch nicht bekloppt. Die versilbern mir den Arsch, bevor ich A sagen kann."

Jens hatte uns neugierig gemacht, wir platzierten uns auf eine Bank, die dem Scheißhaus näher stand.

Tatsächlich, immer wieder sahen wir Kerle, die ins Klo gingen. Wir hörten das Gekreische und Gelaber. Man musste nicht bulgarisch können, um zu wissen, um was es ging. Und ab und an sahen wir Typen, händchenhaltend  aus der Pissbude stolzieren. Die Typen waren stockschwul, ohne Zweifel. Ich habe nie etwas gegen Schwule gehabt, aber dennoch, aus irgend einem Grund mussten wir einfach lachen. Wir lachten uns kaputt.

Dann kam eine Gruppe  von  5 Mann. Sie lachten, griffen sich gegenseitig an die Ärsche und ließen eine Flasche kreisen. Offenbar hatten auch sie bereits einen gewissen Alkoholspiegel erreicht. Sie kamen auf uns zu, bauten sich vor uns auf, sprachen uns auf bulgarisch an.

"Nix verstehen. We are from Germany", antworteten wir.

"Ah....Du ficki ficki?"

Wir schüttelten mit dem Kopf. Die fünf horchten auf. Erst jetzt wurde uns klar, verdammt, wir waren in Bulgarien, wir hatten ihre Frage bejaht. Schnell setzten wir ein "No, net" nach, aber der Typ blieb am Ball.

"Wie viel du haben wollen?" Der Kerl sprach Deutsch. Schlecht, aber recht.

Er deutete auf mich, ausgerechnet. Mike und Jens konnten sich vor Lachen kaum noch halten, und dann sagte einer von beiden:

"Los frag doch mal, wie viel er ausspuckt!"

"Bist du bekloppt", konterte ich.

"Mensch, nur so aus Spaß."

Eigentlich hatte er Recht. Ich war besoffen genug, um den Spaß mitzumachen, also:

"Wie viel?", und dabei rieb ich Zeigefinger und Daumen aneinander.

"Zwanzig Lewa", sprach er in gebrochenem Deutsch.

Das waren etwa 60 Ostmark. Ich winkte ab. Er ging höher:

"Dreißig Lewa."     

"Net."

"Fünfzig."

"Net."

"Mal sehen, wie weit er noch geht", sagte Mike.

Er ging nicht weiter. Er kramte sein Geld aus der Hosentasche, warf es mir vor die Füße. Dann öffnete er seinen Reißverschluss, holte den Schwanz hervor, während sich die anderen vier bedrohlich aufbauten.

"Scheiße", rief ich, in einem Anfall von Panik.

Und dann ging alles ganz schnell. Es kam mir vor, wie in einem amerikanischen Actionfilm. Mike knallte dem Exhibitionisten die leere Wodkaflasche über den Schädel. Der sackte zusammen, wie ein Fesselballon, dem man die Luft ablässt. Jens schlug einem der anderen eins in die Fresse, Mike warf sich gegen die restlichen drei, und dann schrie er:

"Los, weg hier !"

Ich sprang auf, boxte einem der Bulgaren in den Magen, und dann rannten wir. Wir rannten um unser Leben, und ich rannte um die Sicherheit meines Schwanzes und meines Arsches. Die angebrochene Flasche Wein hielt ich noch immer in den Händen.

Kontakt: Andreas Schulz  AnDie-Z@t-online.de
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