Weißt du noch, Anton, als die Muskeln in deinen Armen wuchsen, bevor die
Schleifmaschine in deiner Hand gezittert hat, bevor dir die Schrauben aus
den Fingern fielen, bevor unser Leben langsam zerbrach, Monat für Monat, Tag
für Tag, Stunde um Stunde? Weißt du noch? Und du standest in der Werkstatt
zwischen Sägespänen und Leim. "Ich kauf dir ein Haus in Italien mit Blick
aufs Meer und roten Sonnenuntergängen. Ich kauf dir ein Haus. Später. Ich
verspreche es dir." Du hast viel versprochen, Anton. Auch ich habe viel
versprochen, zu warten, durchzuhalten, nicht aufzugeben, wenn die Tage
einsam waren und die Nacht uns trennte.
In deiner Werkstatt bautest du an unserer Zukunft aus Holz und deine
Beteuerungen und Schwüre waren zahlreiche Späne, die beim Hobeln auf den
Boden fielen. Dein „später“ wurde von meinem Lächeln verschluckt. Aus den
Blüten des Baumes im Garten wuchsen im Sommer die Kirschen heran, die Äpfel
und Birnen brachten den Herbst mit dem gleich bleibenden Puls unserer Welt.
Die Kinder gingen in den Kindergarten und kamen von der Schule zurück, bis
sie keine Kinder mehr waren und das Haus in Lautlosigkeit versank,
unterbrochen vom Ticken des Sekundenzeigers der Uhr, der die Zeit hektisch
voran trieb, die endlos lang wurde.
Als sich die Ruhelosigkeit deiner bemächtigte, dich in Gefangenschaft nahm,
dir ihren Willen aufzwängte, mit deinen Beinen marionettenhafte Bewegungen
vollführte, deine Hände ins Leere trieb, dich unter Stromschlägen zusammen
zucken ließ,
haben wir geschwiegen. Der Löffel, die Gabel, das Messer fingen an, sich
zwischen deinen Fingern von selbst zu bewegen, die Kartoffeln fielen auf den
Teller zurück in unser Schweigen hinein. Dein Körper vibrierte, angetrieben
von den Schwingungen des Glases in deiner Hand.
Schließlich gabst du vor, keinen Hunger mehr zu haben, keinen Durst,
entzogst dich meinen Blicken, zogst dich in dich zurück. In der Nacht
öffnete sich die Kühlschranktür mit leisem Quietschen, wenn du mit dir und
dem Essen allein sein wolltest, mit deiner wachsenden Hilflosigkeit, deiner
Angst vor dem Ungewissen, dem Entsetzen vor dir selbst. Die Beschwerden
häuften sich, weil dein Holz nicht mehr passte und das Geld blieb aus. Wir
haben getan als wäre nichts, als läge unser Leben noch vor uns, als gäbe es
noch Platz für Hoffnung und Glauben und Betrug und Illusion.
Jetzt endlich haben wir die Zeit füreinander, die wir nie hatten und Stille
hat sich wie ein Mantel um unser Leben gelegt. Ganz selten öffnen sich noch
deine Augen, in die ein kleiner Lichtstrahl fällt, der die Dunkelheit für
einen kurzen Moment vertreibt. Dann kehrt der Hauch einer Erinnerung an ein
Wort zurück, das im Geröll deines Kopfes seinen Sinn noch nicht verloren
hat. Du sitzt in deinem Sessel und siehst mich an, während dein Mund sich
zusammen spitzt, um Unverständliches in die Welt zu spucken. Mit meinen
Fingern streiche ich über dein Gesicht, verwische jeden Buchstaben einzeln
auf deinen Lippen. Später, Anton, wird es nicht geben. |