Scheiße im Kehlkopf 


Die Klinik sah von außen aus wie eine Nobelherberge. Meine Lebensgefährten und ich latschten da rein. Mein Hals kam mir vor, als hätte ich ein Pfund Sägemehl geschluckt  oder einen Salat aus mexikanischen Disteln, essen konnte ich nur noch Weichspeisen und Suppen oder meinen eigenen Furz einatmen und das war nicht besonders viel wenn man schon sehr viele Kilo abgenommen hatte, weil sogar ein gutes Glas Wein wie gesiedetes Öl schmeckte. Ganze Mund und Kiefer voller Eiter. Zu allem Überfluss waren wir auch noch verkehrt. Das Gebäude, das zur Klinik gehörte, war ein Nebenbau. Dachte zuerst, das war irgendwie die Werkstatt und der Hausmeister arbeitete da in dem Fuhrpark da drin. Aber es war der Eingang zur HNO Abteilung. In Gedanken sah ich schon Ärzte in blutverschmierten Kitteln herumliefen, die eine Schwester in den Arsch kniffen und dabei  einen Plastikbecher mit einer Urinprobe in der Hand hielten. Irgendwie hatte ich ein schlechtes Gefühl dabei das solche Leute in so einer Hütte an meinem Kehlkopf herum schneiden wollten  Sie schickten mich von einer Station zur anderen. Hier einen Schlauch durch die Nase, da einen Schlauch in den Hals, da einen in den Arsch. Da Blut abnehmen, hier Röntgenaufnahmen, da eine Ultraschalluntersuchung...
„Das kommt vom Saufen und Rauchen.“ sagte die Ärztin.
Ja, das hätte ich selber gewusst.  Dazu brauche ich nicht jahrelang Medizin studieren und meinen Eltern auf der Tasche liegen.
Einigen Krebspatienten sah man sehr gut an, dass sie in ihrem Leben selten einen Drink ausgelassen hatten und die Tabakindustrie sehr gut an ihnen verdient hatte. Aufgeschnittene, vernarbte Gesichter,  Tumore so groß wie ein Babykopf, leere Gesichter die blöd in die Gegend starrten obwohl sie gar nichts mehr sahen. Meine Fresse, dachte ich, so weit habe ich es vielleicht auch gebracht...
Die Ärztin konsultierte einen Oberarzt.

„Sehen Sie sich mal DIESE Mundschleimhaut an. Katastrophal, du meine Güte.“
Er sah sie sich an, zog die Augenbrauen nach oben und schüttelte angewidert  den Kopf.
„Ja und da oben ist alles voller Eiter,“ stellte er fest und drückte mir das widerliche Zeug mit einem Spachtel aus.
Gott im Himmel, konnten die das nicht etwas diplomatischer machen? Sie warfen mit lateinischen Ausdrücken um sich und fachsimpelten. Als wäre ich ein Studienobjekt.
„Sieht mir nach Krebs im Frühstadion aus.“ meinte die Ärztin.
Aber da war sie sich nicht sicher. Also waren meine Felle noch nicht komplett  davon geschwommen. Die Oper ist erst dann zu ende wenn die dicke Frau nicht mehr singt. War schon immer mein Wahlspruch.

Sie nahmen mich stationär auf. Die üblichen Aufnahmeformalitäten, ich irrte durch die Gänge, suchte mein Zimmer, eine Schwester, einen Arzt oder wieder den Ausgang.  Eine Schwester fing mich ein, zeigte mir mein Bett, meinen Schrank, die Dusche, die auf dem Gang war. Neben uns wurde ein transportables Bett geschoben, eine erbärmliche Gestalt lag darauf. Beide Gesichtshälften mit einem Tumor gefüllt. Dann verrutschte die Bettdecke und gab einen Bauch frei der keine Bauchdecke mehr hatte. Eine klaffende Wunde so groß wie ein Fußball.  Angewidert  und zugleich erschüttert wandte ich mich ab.
Ich legte mich ins Bett.
„Sie bekommen Zugang“, sagte eine Schwester und schob ein Bett rein.
Es war der atmende Leichnam aus dem Gang von vorher.
Himmel noch mal, warum taten die mir das an. Ich hatte doch selber Schiss vor der Krankheit und da  setzten die mir ein Paradebeispiel von Krebs im Endstadium vor die Rübe. Es schlief sich nicht gut mit dem Gestank des Todes im Raum. Nachts trank er einen Schluck Wasser und wie ein Schwall kotzte er einen halben Liter wieder aus. Wie das Verhältnis zustande kam war mir ein Rätsel, auf jeden Fall stank es bestialisch. Roch nach einem Gemisch aus Scheiße, Blut, Eiter und Kotze. Der Kerl war so alt wie ich und wartete auf seinen Operationstermin. Operationstermin? Was wollten sie an dem noch machen? Beide Tumore aus den Backen holen und da auch klaffende Wunden hinterlassen? Seelische Löcher dürften da ohnehin keine mehr da sein, schätze nicht, das der Typ auch nur noch eines klaren Gedankens fähig war. Sie stellten ihm jeden Tag Suppe hin, er glotzte sie an, drehte sich um und pennte.
Und die Schwestern kamen jeden Morgen rein und stellten die obligatorische Frage: „Hatten Sie Stuhlgang?“
„Schwester,  der Mann hat statt eines Magens eine Plastiktüte im Bauch. Wie soll der Stuhlgang haben?“ Sie trollte sich.
 Nachts machte er Geräusche, die irgendwie nicht von dieser Welt waren, etwa so, als wenn jemand mit einem 30 Kilo Hammer in die Wand rein schlagen würde und ich wagte es nicht ihn anzuschreien, ließ ihn gewähren...
Mit schlafen war eh nicht viel los. Unser Zimmer lag gegenüber dem Hubschrauberlandeplatz und die einzige Laterne in der Straße leuchtete auch genau da. Sie schnitten mir ein Stück aus dem Kehlkopf, steckten mir einen Schlauch bis zu den Gedärmen in den Mund. Fanden etliches an Krankheiten aber keinen Krebs. War wieder mal mit einem blauen Auge davon gekommen. Oder auch nicht.

Während ich das schreibe, schneit es draußen, es ist sehr kalt, und damit meine ich nicht nur die Wettertemperatur, sondern auch das eisige, das einem das Hirn vernebelt und die Luft zum atmen nimmt,  meine Frau spült Geschirr und legt danach  Wäsche zusammen. Ich hole mir ein Glas Wein. Es ist Sonntag. Zehn Uhr vormittags. Draußen bellt ein Hund. Ich sehe zum Fenster hinaus.  Es ist ein kleiner Mischling, nicht größer als eine vollgefressene Katze, aber er hat so ein lautes  Organ wie zwei ausgewachsene Rottweiler. Gerade die Kleinen müssen sich durch Ihre große Klappe schützen. Zählte mich immer dazu. Brachte mir oft Probleme und ließ mich aber nie verstummen. Und der Tag wird kommen, an dem ich nichts mehr zu sagen habe, an dem ich müde werde und nicht mehr kann. Nicht weil mir die Themen ausgegangen sind, sondern weil mir jemand, der viel höher steht als wir, das Leben nehmen wird. Und zurückbleiben werden meine dreckigen und gewaschenen Klamotten. Aber bevor ich abtrete, ist mein Gedanke, schreibe ich noch mal  ein Buch.

Hiermit geschehen.

 
Kontakt zum Autor: lurchine2@yahoo.de

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