Gott würfelt und spielt nicht


Gott würfelt und spielt auch sonst nicht. Aber er ist auch kein Spielverderber und gibt mir hie und da ganz gute Karten, im Leben allgemein und auch beim Pokern. Ich hatte drei Könige, eine Acht und eine Zehn, ich behielt nur die Könige, vielleicht hätte ich die Zehn für ein Full House aufheben sollen. Ich werde es nie erfahren. Gerade als der Geber die neuen Karten austeilen wollte, geschah das Unfassbare. Jemand hatte einen fahren lassen, so ein höllisches Torpedo, dass einem die Tränen in die Augen schießen ließ, wie eine explodierte Granate die mit einem Kampfstoff aus verwestem Fleisch und faulen Eiern gefüllt war. Fürchterlich. Die ganze Meute stob auseinander, ihre Luschen warfen sie in die Ecke oder unter den Tisch, rannten panisch zum Fenster, dass jemand geistesgegenwärtig aufgerissen hatte, der Verursacher musste auch darunter sein, aber der ließ sich nicht eruieren bei dem Durcheinander. So eine Drecksau. Der volle Aschenbecher kugelte unter den Tisch und zerbarst, auch der Maßkrug mit einem Gemisch aus Bier, Cola und Schnaps fiel vornüber, blieb aber heil, aber das Getränk versaute den ganzen Teppich. Nicht, dass ich mir über den Zustand der Wohnung Sorgen machte, das war vorher schon eine Bruchbude, der Putz bröckelte ab, es gab nur einen Wasserhahn der ständig tropfte, zwei Steckdosen, eine davon führte sogar Strom, die Heizung leckte ständig und funktionierte nur im Sommer, im Winter fror sie regelmäßig ein: Onkel Toms Hütte.
Aber dass ich mit einem dermaßen guten Blatt baden ging, das wurmte mich schon.
Ich ging zum Kühlschrank um mir ein Bier zu holen, unter der Spüle kroch verräterisch ein gelbes Rinnsal hervor, jemand hatte in das Waschbecken gepisst, ein Mann, für eine Frau wäre die Haltung zu akrobatisch gewesen, an sich kein Problem, ich machte das auch immer, nur, ich war gerade beim Ausziehen und hatte bereits das Rohrleitungssystem gekappt, das war nur Attrappe. Ich warf einen Putzlumpen über die Sauerei, damit sie nicht ins Wohnzimmer lief und sich mit den verschütteten Getränken verbrüdern konnte. Im Eisfach standen noch drei Bier, kappte eins, trank es in Ruhe aus und sah dem Treiben weiter zu. Mit Pokern war da nichts mehr. Jemand baute einen Joint, der dann die Runde machte, daraufhin musste eine der Ladys kotzen und schaffte es nicht mehr bis auf die Toilette, die ohnehin besetzt war. Ich hatte genug für heute und warf die ganze Bande raus. Wenigstens hatte ich noch die zwei Biere. Wollte mir eins holen.
Das Eisfach war leer.

Ein Rucksack, paar Hosen drin, ein paar T-Shirts, Socken, Unterhosen, ein paar Manuskriptseiten, es regnete und auch sonst sah der Tag nicht viel versprechend aus, so zog ich los. Den Schlüssel hatte ich einfach in den Briefkasten geworfen. Etwas Geld, ein angefangenes Päckchen Tabak, eine Flasche Wein als Reiseproviant. Ich setzte mich in einen Zug und machte, dass ich da weg kam. Der See, die Häuser, die Berge, alles flog an mir vorbei als ich zum Fenster raus sah, mir gegenüber saß eine Frau, eine Bierflasche in der Hand, an der sie ständig nuckelte, und führte ständig Selbstgespräche. Da war wohl in ihrem Leben wahrscheinlich doch der ein oder andere Drink zuviel. Aber wer weiß schon, ob man nicht selbst irgendwann so ein hirnloses Wesen wird, da sind noch nicht alle Würfel gefallen.
Elf Stunden im Zug, dann war ich da. Brandenburg. Der Osten Deutschlands, hier wo uns die Regierung blühende Landschaften versprochen hatte. Na ja, hier blühte schon einiges, aber in Wirklichkeit war es ein trostloses Kaff, in dass ich da zog, keine Kneipen, die einzige Sehenswürdigkeit eine verfallene Burg von der nur noch Fragmente übrig waren. Welcher Teufel hatte mich denn da geritten? Die Frau, die mich dahin gelockt hatte, entpuppte sich als keifende Schlampe, die jeden Tag fetter wurde. Gott im Himmel, was für eine Pleite. Ich führte ihren Hund spazieren, betrank mich, glotzte blöde zum Fenster raus, schlug die Zeit tot mit unsinnigen Sachen. Ich wartete auf den Tod.

Eines Tages wachte ich auf, die ganze Speiseröhre brannte. Ich zündete mir eine Kippe an, das war keine gute Idee, ich schaffte es gerade noch bis zum Waschbecken, kotzte hinein. Alles voll Blut, Shit, überall wo ich hinsah, die rote Brühe, im Becken über den Händen, auf der Hose, Blut, Blut….Was für eine elende Scheiße. Ich hatte einen Drink nötig. Ich versuchte es mit Bier, das klappte nicht, aber der Wein blieb drin. Na, so schlimm konnte es ja dann doch gar nicht sein. Ich pennte ein paar Stunden. Meine Olle kam nach Hause.
„Was ist denn mit dir los? Bist blass wie eine Leiche.“
„Honey, ich BIN eine Leiche.“
Ich schleppte mich ins Bad, sah in den Spiegel und machte den Mund auf. Blut und Eiter, die ganze Fresse voll von dem Zeug. Na, da hatte ich’s ja weit gebracht.
„Du solltest was essen.“
Die Frau war scheinbar völlig kirre, mir fiel das Fleisch in Fetzen im Mund weg und sie redet von Nahrungsaufnahme.
„Feine Idee. Wie wäre es mit einem Krustenbraten oder einer knusprigen Schweinshaxe? Herrgott, mir brennt schon alles wenn ich nur durch den Mund einatme.“
Wir einigten uns darauf, dass ich dringend in eine Klinik musste. Die Idee hatte was für sich. Gibt wahrscheinlich Besseres, als an seinem eigenen Blut zu ersticken oder dass einem Gebiss und Mundhöhle am lebendigen Leib verfaulen.

Der Arzt verwies mich in eine Krebsklinik. Nicht, dass mich das schockierte, aber so richtig wohl war mir nicht dabei. Das Krankenhaus war recht feudal, ein Park, ein See in der Nähe, nett aufgeputzte Schwestern. Nicht übel. Wir brachten die ganze Aufnahmeprozedur hinter uns. Neben dieser Rezeption war eine Cafeteria.
„Lass uns vorher ein Bier trinken gehen“, schlug ich vor.
„Ein Bier? Du spinnst doch total. Hast du sie nicht alle? Wir suchen jetzt die Station.“
Ein gottverdammter Irrgarten, wir latschten durch die Katakomben, Patienten kamen uns entgegen, der eine hatte nur ein Auge, auf der anderen Seite war statt eines Gesichtes nur eine riesige Geschwulst, wie soll man den wegschauen und nicht starren (?), ein anderer einen Kehlkopf so groß wie ein Fußball, tja, da kommt man schon etwas ins Grübeln.
Eine Ärztin steckte mir einen Schlauch durch die Nase, einen weiteren in den Mund, irgendwelche Sonden, ein pockennarbiger Mann assistierte dabei und starrte mich an als hätte ich gerade in die Hose geschissen während er beim Essen war.
„Sieht aus wie eine Vorstufe zum Krebs“, sagte Pocken.
„Könnte sein“, meinte sie.
„Nett“, sagte ich.
Aber mich beachteten sie nicht. Eigentlich schon. Aber nur als Objekt. Sie fummelte in meinem Mund herum, er leuchtete mit einer Stablampe.
„Halt doch mal ruhig“, sagte sie zu ihm. „Ich sehe doch nichts.“
Er hielt ruhig.
„Das kommt vom Rauchen und vom Saufen“, meinte sie.
„Na klar“, äffte der Arsch mit Lampe mit.
Toll, da wäre ich auch drauf gekommen ohne dass ich meinen Eltern 15 Jahre auf der Pelle liege, um Medizin zu studieren.
„Wir werden ihm ein Stück aus dem Kehlkopf schneiden und das untersuchen, dann wissen wir Genaueres.“
„Ja, soll ich ein Zimmer belegen lassen?“ Pockennarbe war in seinem Element.
„Mhm, mach das…… Mund auflassen…!“
Ich ließ auf.

Mein Zimmernachbar hatte eine offene Bauchdecke, statt eines Magens hatte er so eine Art Plastiksack drin. Das Ganze wurde nur durch eine große Mullbinde verschlossen. Wenn er eine Tasse Tee trank, kotzte er vier wieder aus. Ein Phänomen der Mann. Das ging die ganze Nacht so. Er trank viel Tee. Er röhrte in das Waschbecken rein, wie eine Klospülung hörte sich das an, setzte sich aufs Bett, rauchte eine, trank eine Tasse Tee…
Morgens kam eine Schwester machte seine Mullbinde vom Bauch weg, verband das neu, nahm seinen Kot –und Urin Katheter ab, setzte einen neuen und servierte uns ein Frühstück. Der Katheter nahm sein Essen, warf es in den Papierkorb und trank seinen Tee.


 
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