Zwei Arme, beide offen.
Einer liegt auf dem Wannenrand, der andere im Wasser. Die Schnitte führen
quer über die Handgelenke, ich will es erleben.
Mein Atem geht ruhig.
Kein Abschiedsbrief, keine Heulereien am Telefon, keine düsteren
Vorankündigungen.
Ich bin allein.
Ich war auch allein, als mir der Gedanke kam. Anrufbeantworter neu
besprochen, irgendwas mit "...länger nicht erreichbar...", das Bad
gemütlich hergerichtet mit Kerzen, Wein, Bier, Rasierklingen, Süßkram;
Musik und Heizung an.
Dann die Reste im Kühlschrank aufgegessen und das Gerät abgetaut und
ausgemacht. Aufgeräumt und Schmutzwäsche in eine Abfalltüte. Bett
gerichtet und CDs sortiert. Es war abends, als ich mich auszog, die
Kleidung vor der Badtür gefaltet auf den Boden legte, zusammen mit einem
Schokoriegel und einem Entschuldigungsbrief, für den der mich finden
würde. Dann schloss ich von innen ab und ließ das Wasser ein.
Ich überlegte, mir noch die Zähne zu putzen, hab es dann aber sein lassen
und ging stattdessen noch mal aufs Klo.
Das Wasser war anfangs heiß, nun hat es eine angenehme Temperatur. Ab und
zu füge ich ein wenig Heißes nach. Der Schaum hat sich größtenteils
aufgelöst, wo er noch kleine Blaseninseln bildet ist er in einem etwas
albern wirkenden Rosarot gefärbt. Durch das Wasser selber ziehen rote
schmierige Schlieren ihre Bahnen um meinen Körper.
Neben der Wanne hat sich auf dem Boden und dem Läufer mit
Rutschschutznoppen eine Pfütze aus mir heraus gebildet.
Es hat mich überrascht, dass der Schnitt nicht wirklich geschmerzt hat.
Ich greife in die Schale neben mir und führe ein paar Gummibärchen in
meinen Mund. Ich lasse sie immer eine Weile offen stehen, damit sie
bissfest bis knüppelhart werden, das ist die einzige Konsistenz, die
Gelatine wirklich gebührt. Die feuchtwarme Luft des Bades hat sie etwas
angeweicht, doch ihre runden Ausbuchtungen sind immer noch recht scharf.
Ich drücke sie mit der Zunge gegen mein Zahnfleisch und sofort breitet
sich kupferner Geschmack im Mund aus. Ich kaue und schlucke die
Gelatineprodukte und grinse dann breit und neige meinen Kopf nach vorn.
Langsam, ganz langsam tropft Mundblut in das Badewasser, sinkt, sich
teilend hinab, folgt kleinen Strömungen und vereint sich mit dem anderen
Blut.
Es sieht beinahe wie in einer Lavalampe aus. Ich mache kurz das Heißwasser
an, dann lehne ich mich wieder zurück. Inzwischen macht sich der
Blutverlust bemerkbar.
Ich denke, es wird wie Einschlafen sein. Ich bin gespannt.
Wieder beschäftige ich mich mit der Wasseroberfläche. Zu Schaum und Wasser
und Blut gesellen sich Schamhaare, Hautschuppen, Dreckschlieren und
Körperfettinseln. Ich hätte mich vorher abduschen sollen, denke ich, und
das es irgendwie würdelos ist, in seinem eigenen Siff zu verrecken. Aber
andererseits ist es auch egal. Wenn ich....tot bin, werden sämtliche
Schließmuskeln aufgeben und das Blutwasser mit Scheiße, Pisse, Fett und
sedimentierenden Lymph- und Blutflüssigkeiten verdrecken.
Derjenige, der mich finden würde, sollte die Schokolade erst später essen.
Ich hoffe, es wird nicht zu sehr stinken. Ich bezweifle nicht, dass der
Anblick traumatisch wirken könnte. Wenn es lange genug dauert wird meine
Verwesung den Wanneninhalt in eine monströse Kokonflüssigkeit verwandelt
haben, die eine widernatürliche Monsterabform eines darmkranken
Nachtfalters hier abgelegt hat.
Braun, stinkend, von Maden und Fliegen überhäuft, eine menschliche Haut-
und Knochenform in all dem ekligen Leben erahnbar.
Ich muss albern kichern.
Ein Klischee, der Tod im Bade. Um mich herum die flackernden Kerzen, einen
sakralen Duft produzierend.
Kleine Aussetzer in meiner Wahrnehmung künden vom Fortschritt im
Verbluten.
Ich nehme ein Bier aus dem Eimer, den ich mit Eiswasser gefüllt habe. Der
kalte Kontrast zu der mich umgebenden Hitze ist angenehm belebend. Das
Zischen, als der Kronkorken sich vom Flaschenhals löst, aktiviert mein
Trinkbedürfnis. Ich trinke in großen Schlucken und genieße das
anschließende Eisbachgefühl in meinen Innereien. Mir fällt auf, dass sich
die Wunden schon wieder zu schließen beginnen. Mit einer Rasierklinge
kratze ich die Ränder aus Bröckchen gerinnenden Blutes weg und vertiefe
die Schlitze in mir etwas. Nun strömt es richtig. Kleine Bläschen blubbern
am Wundenrand, am Fleisch.
Ich trinke den Rest des Bieres langsamer. Irgendwann rutscht mir die
Flasche aus der Hand, aber egal.
Sie zerplatzt mit einem dumpfen Knall auf dem Wannenrand und einige große
Splitter fallen ins Wasser.
Ich verliere die Konzentration, fange an, vor mich hinzu lallen. Meine
Körperspannung lässt nach, ich rutsche tiefer ins Wasser.
Mir ist heiß.
Ich friere.
Beide Arme rutschen in die Badewanne. Das Wasser sieht langsam aus wie
Blutsuppe.
Es ist tatsächlich fast wie einschlafen.
Meine Augen brennen, ermattet schließe ich sie.
Im Sterben spüre ich, wie ich in das Wasser scheiße.
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