Begegnung der unmöglichen Art |
Ich stieg in den Vorortzug und wollte mich gerade
völlig entnervt im Fahrradabteil niederlassen, als mich aus dem
nahegelegenen Abteil ein blondes, rundes Gesicht angrinste. Sie winkte mich
heftig zu sich herein, und als ich sie da so grinsen und winken sah, konnte
ich nichts anderes mehr tun, als mich zu ihr zu setzen. Im ersten Moment
hätte ich die Begegnung gern vermieden, aber ich konnte ja schlecht so tun,
als hätte ich sie nicht gesehen. Dazu war ihr Grinsen viel zu aufdringlich.
Also ging ich zu ihr hinein und setzte mich auf einen freien Platz. »Das ist aber ein Zufall!« lachte sie mich an. »Dass ich dich gerade hier treffe«. »In einem Zug«, murrte ich, »Wirklich, sehr romantisch«. Ich hatte nur ein halbes Mal hinsehen müssen, um sie wiederzuerkennen, denn sie war doppelt so breit und auch doppelt so schwer wie ich. Unverkennbar Norma. Norma war Lehrerin an einem Gymnasium und lehrte Englisch. Sie hatte höchstens drei, vier Stunden in der Schule zu tun. Das fand ich damals, als wir uns näher kannten, sehr vorteilhaft. Damals, ja, das war mittlerweile auch schon zwei Jahre her. Niemand, der uns je zusammen gesehen hatte, hätte uns für ein Paar gehalten. Wir waren viel zu verschieden, schon vom Äußeren her. Sie, die kleine Dicke, das Pummelchen aus der Provinz, und ich, der Großstadtspargel, den es wer weiß aus welchen Gründen zu dieser üppigen Frau hinzog. Ich selbst hatte nie begriffen, weshalb ich mich mit ihr abgeben hatte. War es sexueller Notstand meinerseits? War es ihre Intelligenz, die sich kurze Zeit später als lediglich angelesenes Pseudowissen erwies? Oder hatte ich sie doch geliebt? Je mehr ich darüber nachdachte, kam ich zu dem Schluss, dass es doch irgendetwas mit Sex zu tun hatte. Als wir uns nahe waren, hatte sie so eine abenteuerliche Methode, zuerst mich und danach sich selbst an mir zu befriedigen. Einzelheiten erspare ich mir hier, nur so viel: Für eine kleine Frau von hundertsechzig Pfund hatte sie Sachen drauf, die ich ihr vorher nie zugetraut hatte. Die Nächte mit Norma waren immer voller Überraschungen. »Wo willst du eigentlich hin?« fragte ich sie. »Ich fahre in den Urlaub, nach Cuxhaven«. »Ach so«. Ich wurde einsilbig. So lange ich sie kannte, war sie immer auf irgendwelchen Urlaubsreisen. Klar, sie hatte viel Zeit und Geld für so etwas. Aber es gibt mir noch heute einen Stich, wenn sie das sagt. Wir hatten es nie fertiggebracht, gemeinsam zu verreisen. Ich hatte kaum Geld dazu, und sie war wahrscheinlich sowieso froh, wenn sie ihren Urlaub allein verbringen konnte. »Wie geht es denn deinen Kindern?« fragte sie unvermittelt. Unbewußt, denn sie wusste ja nichts von ihnen, versetzte sie mir damit einen weiteren Stich. Sie hatte es schon immer vermocht, sämtliche Fettnäpfchen bei mir einzutreten. Da ich keine Lust hatte, es ihr zu erklären, rang ich mir ein unverbindliches »Ja, geht so« ab. Sie wollte es auch nicht genauer wissen. Im Grunde genommen war es ihr egal. Danach schwiegen wir für ein paar Minuten und sahen zu, wie der Zug sich der Stadt näherte. Wir sahen beide in dieselbe Richtung, jedoch sahen wir uns nicht an. Wir sahen beide nach links, doch wir saßen uns gegenüber. Als der Zug einfuhr, dröhnte es in mir: »Du musst ihre Tasche tragen, trag ihre Tasche raus«! Doch das einzige, was ich auf die Schnelle zu Wege brachte war, ihr die Tür aufzuhalten. Nachdem wir die Treppe bewältigt hatten, gab ich ihr flüchtig die Hand und wünschte ihr einen schönen Urlaub. Halbherzig. Gerne wäre ich mit ihr gefahren. Wahrscheinlich war es doch keine Liebe. Ich denke, es waren die Nächte. |
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