Bauland |
Leipzig Innenstadt, gelbe Striche auf grünen
Containern. Beton, Rohbau. Offen. Sibirisch kalt. »Warum haben sie denn Mario entlassen? Weißt Du da was?« fragte ich ihn. Er setzte zum Sprechen an und für einen Augenblick hatte ich das Gefühl, er würde es mir verraten. »Ich weiß, warum.« nickte er, »Aber darüber soll ja nicht gesprochen werden. Genauso wenig, wie man über Geld spricht. Hier weiß keiner vom anderen, was er verdient.« Und so weiter. Blablabla... Ich wusste, was er meinte. In dieser Firma trugen alle irgendwelche Geheimnisse mit sich rum, die sie wie Hundeknochen häppchenweise an ihre kleinen Lieblinge verteilten. Aber schön Männchen machen! Brav! Hier hast Du! Happs. Na schön, Du Spinner. Behalt´s für Dich! Ist mir auch egal. Dann haben sie ihn eben ohne Grund rausgeschmissen. Was ist daran schon ungewöhnlich? Du erwartest doch nicht, dass ich jetzt Männchen mache? »Was damals in Dessau war, weiß ich ja.« lockte ich ihn, »mich wundert nur, dass sie ihn so lange noch behalten haben.« »Was war denn in Dessau?« wollte er wissen. Ha, voll reingetappt! Ich klärte ihn darüber auf, dass man darüber nicht spricht, in dieser Firma. Ich hatte meine Lektion gelernt. Er machte aber auch nicht Männchen, guckte nur blöde. Wo der Kanacke abgeblieben war, wollte er von mir wissen. »Was weiß ich, wo der Kanacke hin ist!« Seltsam, wie leicht mir dieser Jargon über die Lippen kam. Ich war schon zu lange bei dieser Truppe. Das färbte allmählich ab. Er hasste die Kanacken. Genau so, wie er ausländische Autos hasste und diese verdammte Negermusik, ooh yeah! »Solche Affen! Stell´mal ´n andern Sender ein!« »Radio Brocken vielleicht?« versuchte ich einen Scherz. Ich wollte die gute Laune wieder herstellen, es waren noch ein paar Stunden bis zum Feierabend. Er konnte nicht darüber lachen. Hatte nicht mal gemerkt, dass es ein Gag sein sollte. Also dann, Radio Brocken, Schlagermusik für den Rest des beschissenen Tages. Er funkelte den Kanacken an, als der wieder vorbei kam. Mit der Rechten machte er eine Bewegung, als würde er einen Hahn aufdrehen. Verschwörerisch grinste er mir zu. »Die würde ich alle zum duschen schicken.« Das war seine Art von Humor. Ich grinste zurück. Was sollte ich sonst machen. Ich hatte keine Lust, es ihm zu erklären. Für ihn kam jede Hilfe zu spät. Einen Augenblick lang verspürte ich Lust, ihm den Witz mit dem Juden-Bus zu erzählen. Ich ließ es sein, man musste es ja nicht übertreiben mit der guten Laune. Er hasste die Kanacken, weil sie die Drecksarbeit machen durften. Es war ein dummes Gerücht, dass man sie dafür schlecht bezahlte. Er wusste das. Wenn unser Kanack nach zwei, drei Jahren nach Hause fuhr, war er ein gemachter Mann. »Dann viel Urlaub! Dann mir geht gut.« Und er hatte gegrinst dabei. Und später, bei der Arbeit, hatte er gesungen. Und wir? Wir kamen zurecht. Der Chef zahlte pünktlich. Nicht viel, aber pünktlich. Darauf legte er Wert. Wir konnten uns nicht beklagen. Wir würden noch ein paar Jährchen machen, dreißig oder so. Dann ging´s uns gut. Rente gesichert, knapp über dem Existenzminimum. Wenn wir Glück hatten. Und wenn nicht? Darüber schwieg sich der Kanzler aus. Jedenfalls würde es genügend Brücken geben, und verkommene Parks. Ich besaß auch schon ein Zelt, für alle Fälle. Zwei Beschlipste kamen hoch, im offenen Mantel. Aus dem Benz hatten sie wohlige Wärme mitgebracht. Wir sahen uns an, grinsten. Pfff! Zehn Grad minus kamen um die Ecke gepfiffen. Die Mäntel wurden zugeknöpft. Kragen hochgeklappt. Hände in die Taschen vergraben. Hüte waren gerade nicht inn. Die obligatorische Tippse stakste hinterher, schaute sich wichtigtuerisch um und bekam die nächste Böe unter den Rock. Heldin in Strumpfhosen! Der Block fiel ihr aus der Hand, ihre Finger wurden zu Eis. Aus! Die drei traten den Rückzug an. Wir stellten uns ans Fenster, wollten sehen, ob sie unten ankamen, oder ob wir helfen mussten. Sie kämpften sich durch den Dreck und verstauten die Tippse auf den Rücksitz, bevor sie sich selber in den Benz fläzten. Noch mal gut gegangen. Von diesem Abenteuer würden sie am Wochenende ihren dicken Kindern erzählen. »Was war´n das für ´ne Show?« keifte er. »Haben die uns überhaupt gesehen?« »Glaub ich nicht. Und wenn, haben sie uns nicht für voll genommen. Die halten uns auch bloß für Kanacken. Das kommt von den Strickmützen, weißt Du?« Er fasste sich an den Kopf, an die Selbstgestrickte, und erschrak. »Na, wie wär´s?« sagte ich und machte mit der Rechten eine drehende Bewegung. Er musste darüber lachen. Einer von uns beiden hatte die falsche Art von Humor. Der Benz fuhr ab. |
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