Ich schlug die Augen auf und erschrak. Es
war dunkel um mich herum und ich lag im Bett. Nichts ungewöhnliches, aber
wie oft in letzter Zeit wusste ich im ersten Moment nicht, wo ich war. Ich
hörte das gleichmäßige Atmen neben mir und tastete nach der dazugehörigen
Person. Ein flacher, fester Bauch, die Brust muskulös und ein Dreitagebart
... Jens.
Ich erinnerte mich. Wir hatten uns am Abend getroffen. Heimlich wie schon
viele Tage vorher, stahlen wir uns die Zeit miteinander. Dabei war ich hier,
um Schluss zu machen. Wie immer begleitete mich auch beim gestrigen Treffen
das schlechte Gewissen. Aber es war auch diesmal anders gekommen.
Ich knipste die kleine Lampe auf den Nachttisch an, mein Blick fiel auf
Jens’ im Schlaf entspanntes Gesicht, seine schmale, gerade Nase und den
energischen Mund. Seine Miene mit den hohen Wangenknochen und
eindrucksvollen Kinn hatten im Wachzustand stets etwas gebieterisches. Jetzt
sah er aus wie ein Kind, das schlief, die Gesichtszüge weich, seine
schwarzen Haare lagen wild auf dem Kissen um den Kopf verteilt.
Kind? Ich dachte an Claudia und unsere Zwillinge. Ich war hier, um diese
unwürdigen, heimlichen Treffen in Hotels zu beenden. Sie hatte es nicht
verdient, hintergangen zu werden. Sie trug keine Schuld daran, dass ich zu
spät und erst mit Jens den Sex entdeckt hatte, der mir alles geben konnte.
Und mehr als Sex war es nicht. Oder?
Ich schaute auf den Körper unter der verrutschten Decke. Es war warm im
Zimmer, ein leichter Schweißfilm bedeckte seine Haut. Mein Blick folgte
seinem sehnigen Hals zur Schulter, über die Muskeln seines freiliegenden
Armes bis zur Hüfte. Eine feine Spur schwarzer Haare lief über sein Sixpack
und verschwand unter dem Laken. Ich sah die Wölbung seines Schwanzes, die
sich deutlich abzeichnete und mein Herz schlug auf der Stelle schneller.
Nein, nicht schon wieder! Ich legte mir Worte zurecht, die ich ihm sagen
würde, wenn er aufwachte. Worte, die am Abend nicht über meine Lippen
wollten. Dabei schien es jetzt doch leicht, schließlich hatte ich keine
Wahl. Drei Uhr in der Nacht, wieder musste ich später lügen. Aber heute
würde ich das letzte Mal unaufrichtig sein.
Jens regte sich, streckte seinen Körper und öffnete die Augen. Das
Muskelspiel unter seiner Haut konnte mich in diesem Moment nicht von seinen
dunklen Augen ablenken, mit denen er mich betrachtete. Ein sanfter, aber
fordernder Blick, der meine Gedanken schon wieder durcheinander brachte. Er
streckte seine Hand nach meiner Schulter aus, sein Griff war fest und ein
wenig grob. Er zog mich über sich. Eine Stunde Schlaf hatte ihn wieder
aufgebaut, ihn und seine Erektion unter dem Laken. Meine Hände begannen, ihn
zu streicheln. Ich spürte die Kuhle, die das Zusammenziehen der Muskeln an
den Seiten seines Hinterteils hinterließ und hörte sein kehliges „Komm!“
Dieses eine Mal noch, wühlte es kurz in meinem Kopf, während ich das
Pulsieren meines eigenen Ständers wie das Hammerwerk des schlechten
Gewissens empfand. Nur noch diese Abschiedsvorstellung...
Nachher lag mein Kopf auf seiner Brust. Er hielt mich fest, als ob er wisse,
dass ich ein letztes Mal gehen wollte. Ich fühlte mich bei ihm geborgen,
seine Nähe gab mir Sicherheit, Befriedigung und Stärke. Er war wie die
Ergänzung meiner eigenen Person. Nicht mehr als Sex?
Als ich später ging, wusste ich, ich würde wiederkommen. So oft
wiederkommen, wie Jens mich wollte. Und während ich im Morgengrauen zu
meinem Auto ging, feilte ich an einem dauerhafteren Lügenmärchen für
Claudia.
Story von Andy Claus --- http://www.andy-claus.de
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