Der Taschendieb |
Kurt rannte, was das Zeug hielt. Er war ein geübter Läufer, weil sportlich, und so konnte er seinen Verfolgern gerade noch entkommen. Keuchend ließ er sich in einem Hauseingang nieder und begutachtete seine Beute. In der Tasche waren ein schmutziger Kamm, ein angebrochenes Päckchen Zigaretten, ein Lippenstift, ein benutztes Taschentuch... . Wo hatte die nur ihr Geld? Er drehte die Tasche auf den Kopf, so daß der ganze Inhalt herausfiel. Von einem Portemonnaie keine Spur. Warum dann der ganze Aufwand mit dieser Hetzjagd? Drei Männer hatten ihn unerbittlich verfolgt. Vielleicht kannten sie die Besitzerin der armseligen Tasche und wollten Kavaliere sein. Kurt tastete innen das Futter ab. Tatsächlich war darin etwas kleines, hartes verborgen. Aber wie Geldscheine fühlte es sich nicht an. Er riß den Stoff auf und war ziemlich enttäuscht, als eine Tonbandkassette zum Vorschein kam. Voller Wut warf er die Tasche, samt der Kassette vor sich auf den Boden, und wollte gerade gehen, als er sich noch mal nach der Kassette bückte und diese in seine Hosentasche steckte. Er mußte weit gehen, um nach Hause zu gelangen, denn die Verfolger hatten ihn in einen abgelegenen Stadtteil gejagt. Die Mutter beachtete ihn kaum, als er eintrat, stellte ihm Brot und Wurst hin und sagte noch im Gehen: "Laß niemanden rein. Bin morgen früh zurück." Mit einem flüchtigen Kuß auf seine Stirn, verließ sie dann das Haus. Kurt aß gedankenverloren sein Brot, und machte sich zum Schlafengehen fertig. Dabei fiel die Kassette aus seiner Hosentasche. Er hatte sie schon vergessen. Mehr automatisch, als neugierig legte er sie in seinen Radiorekorder. Zu seinem Ärger war dort keine Musik zu hören, sondern ein Gespräch zwischen zwei Männern, das zudem noch in einer fremden Sprache geführt wurde. Ungeduldig nahm er die Kassette wieder aus dem Gerät und warf sie im hohen Bogen in den Papierkorb. Dann knipste er das Licht aus und legte sich schlafen. Als Kurt am nächsten Morgen in die Küche kam, saß seine Mutter bereits beim Frühstück. "Du bist spät dran. Mach zu." Sie war in die Zeitung vertieft. "Schon wieder ein Mord. Jetzt ist man nicht einmal mehr auf dem Markt sicher. Die Ärmste. Sah gar nicht schlecht aus." "Zeig mal." "Das ist nichts für dich." Trotzdem hielt sie ihm die Zeitung unter die Nase. Er starrte entgeistert auf das Photo der Frau, die er gestern bestohlen hatte. "Was ist denn? Was hast du?" "Ach nichts... Sie sieht wirklich gut aus." Dann nahm er seine Schultasche und stürmte aus dem Haus. Bei Meiers kaufte Kurt sich die Zeitung und verstaute sie in seiner Jackentasche. In der Straßenbahn, dann endlich, konnte er sie in Ruhe lesen. Aus dem Artikel ging hervor, daß Sonja P. vermutlich einem Drogenring angehörte und wahrscheinlich einem internen Krieg zum Opfer gefallen war. Sie stand schon länger auf der Liste der Verdächtigen und obwohl sie observiert worden war, konnte dieser Mord geschehen, bei dem der oder die Täter unerkannt fliehen konnten. Kurt ließ die Zeitung in der Straßenbahn liegen und begab sich zur Schule. Den ganzen Unterricht über mußte er an die Kassette denken, und daß sie wohl besonders wichtig zu sein schien, wenn sie schon im Futter eingenäht war. Er beschloß, sie der Polizei zu übergeben, denn sie belastete ihn irgendwie und er wußte nichts mit ihr anzufangen. Am selben Mittag warf er sie ohne Briefumschlag einfach in den Polizeibriefkasten, nachdem er sich versichert hatte, daß ihn niemand beobachtete. Wieder zu Hause, fühlte er sich regelrecht erleichtert, setzte sich an den Computer und vergaß völlig die Zeit. Um acht trat seine Mutter ins Zimmer. "Hast du Lust, Bud Spencer zu gucken?" Sie saßen nebeneinander auf dem Sofa und Kurt legte seinen Kopf an ihre Schulter. Die Nachrichten langweilten ihn immer. Aber er horchte plötzlich auf, als der Sprecher sagte:".....im Zusammenhang mit dem mysteriösen Mord an Sonja P. .Die Polizei nahm die zwei Männer fest, nachdem ihr anonym eine Kassette zugespielt worden war, auf der ein Gespräch mit den beiden verzeichnet war. Inwieweit diese an dem Mord an Sonja P. beteiligt sind, wird noch geprüft. Es handelt sich hierbei um die spektakulärste Festnahme in der Drogengeschichte seit 1999" "Phantastisch." "Wie?" "Och, ich find das gut." Seine Mutter legte den Arm um ihn. "Du bist doch mein Lieber." Kurt hatte heiße Ohren und war nicht wenig stolz. "Wenn ich erwachsen bin, dann gehe ich zur Polizei." "Tu das." Sie strich ihm lachend über den Kopf. |
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