Ich bin nicht mehr ganz jung, aber auch noch nicht ganz alt. Äußerlich
bin ich das Letztere, aber innerlich - ? Da fühle ich wie die Jungen.
Ich verstehe die jungen Leute, wenn sie demonstrieren und protestieren.
Ich begreife gut ihren Hunger nach Neuem, nach Reformen, nach Freiheit.
Eines schönen Tages gerate ich in so eine Massenkarambolage, wo es
wirklich zur Sache geht zwischen Hü und Hott. Ich bin elektrisiert, will
mitmischen, will zeigen, dass auch die etwas Älteren längst nicht ganz
verkalkt sind. Also, ich schreie wie sie, schwenke die Arme in der Luft
und bedaure es, keine Fahne zu haben oder wenigstens eine Trillerpfeife.
Immerhin - auch mit dem Taschentuch kann ich wedeln.
Da fühle ich eine Hand auf meiner Schulter, jemand posaunt mir ins Ohr:
"Schön ruhig bleiben, keine Panik, alles wird gut, Oma.
Gut, dass ich sah, wie Sie in den Sog mit hineingerissen wurden. Aber
ich bring Sie hier raus, versprochen, bring Sie in Sicherheit. Kann mir
gut vorstellen, wie Sie sich in dem Krawall fühlen, - aber keine Bange,
das kriegen wir hin..."
Ich versuche, ihn abzuschütteln, brülle: "Junger Freund, ich gehöre zu
euch, ich steh zu euch, begreife euch...!"
Der Lärm ist so, dass er mich nicht versteht. Sehe Mitleid in seinen
Augen. "Ich halt Sie, Oma, kommen Sie...!"
Ich wehre mich wie verrückt, ich will bleiben und klammere mich an einem
der Demonstranten fest. Der schubst ein bisschen, und mein "Retter"
flüstert dem andern zu, was mir als Wortfetzen hängen bleibt: "Bisschen
gestört... Platzangst... braucht Schutz...!"
Da jammern sie immer, die Jungen, dass die Älteren wenig oder gar kein
Verständnis für sie aufbringen, dass sie einfach verbohrt sind, an alten
Klamotten und Regeln hängen, dass sie in der Vergangenheit verhaftet
sind.Aber jetzt ist da die Gegenwart, zu der ich schließlich auch noch
gehöre, und sie packen mich beidseitig an den Armen und zerren mich aus
dem Haufen, in dem ich eben noch voller Feuer mitschrie.
"Oma, Sie müssen hier raus, ganz schnell, - wir können keine Rücksicht
nehmen, hier geht es gleich erst richtig los..."
Ich leiste wilden Widerstand, aber er hat Fäuste aus Eisen, denen ich
nicht entkomme. Ihm ist es Ernst, er will mich "retten ":
Widerstand gegen die Volksgewalt!
"Lasst mich - zum Teufel - los!" kreische ich erbittert. "Ich gehör doch
zu euch, will was für euch tun!"
Die zwei - für mich - Jungens grienen.
"Prima, dann gehen Sie jetzt schön ruhig nach Hause und kochen Sie uns
einen stärkenden Kaffee. Wo wohnen Sie? Da drüben? In Ordnung, - bis
nachher."
Sie drehen sich um, rennen los, werfen sich in das Getümmel, haben mich
schon vergessen.
Ich stehe allein, der Straßenkampf schiebt sich aus meinem Blickfeld.
Aber ich soll Kaffee kochen, muss Kaffee kochen, das wird von mir als
Beitrag zur Protestbewegung erwartet. Es passt mir nicht, möchte lieber
mitrennen, mitprotestieren.
Ich spüre, mir wird kalt. Jetzt brauche ich selber einen Kaffee. Langsam
wandere ich heim.
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