„Nanu! Was ist denn das?“ Erstaunt wich der kleine Mann mit dem bunten
Brokatgewand und dem spitzen schwarzen Hut einen Schritt zurück.
„Ein Vogel. Das siehst Du doch!“
„Ich grüße Dich, großer Zauberer Alonsio.“
„Fürwahr. Jetzt, da die große Rauchwolke verschwunden war, konnte er das
sprechende Federvieh vor sich sehen.
„Na ja. So groß kann meine Zauberkunst nicht sein, mein gefiederter Freund,
eigentlich wollte ich ja ...“
Der rabenähnliche Vogel mit goldschimmerndem Gefieder schnitt ihm das Wort
ab. „Weißt Du, mein lieber Alonsio, ich wollte mir einen kleinen Spaß mit
Dir erlauben“, krächzte er.
„Und das ist Dir auch gelungen. Wie Du siehst, bin ich wirklich überrascht.
Du bist ein wahrhaft komischer Vogel. Wie heißt Du eigentlich?“ fragte der
Zauberer neugierig.
„Ach weißt Du, Zauberer, Namen habe ich viele, da hat sich schon einiges im
Laufe der Jahrhunderte angesammelt, wie Du Dir ja denken kannst“, antwortete
ihm der Vogel und gab ihm folgende Erklärung: „Wenn Du einen weiblichen
Gesprächspartner bevorzugst, wäre mein persönlicher Lieblingsname „Edwina“.
Kaum hatte der Vogel den Namen ausgesprochen, stand auch schon eine
wunderschöne, feenähnliche Erscheinung vor dem Zauberer. „Falls Du doch
lieber mit einem Mann sprechen möchtest, dann wäre ich „Eduardo“. Er hatte
sich bereits in einen säbelrasselnden Ritter verwandelt. „Weißt Du, mir sind
da keine Grenzen gesetzt, ich bin wirklich sehr wandlungsfähig. Such Dir
etwas aus!“ forderte der Vogel den Zauberer auf.
„Meinetwegen kannst Du gerne weiter als Vogel hier herumflattern“,
entgegnete ihm der Zauberer amüsiert.
„Na schön. Für den Fall bin ich ganz einfach der „Mystische Vogel“.
Er flog ein paar Runden, um sich dann wieder direkt vor dem Zauberer zu
platzieren. „Also, mystischer Vogel, was willst
Du von mir?“ fragte der Zauberer, etwas ungeduldig geworden.
„Solange es Menschen gibt, gibt es auch schon uns mystische Vögel. Weil Du
ein Zauberer bist und ich Deine Hilfe brauche, konnte ich einmal eine
Ausnahme machen und hier zu Dir auf die Erde kommen. Denn es steht
geschrieben, ein mystischer Vogel kommt nur einmal auf die Erde, um zu
sterben. Leider ist das schon viel zu oft geschehen, und wie Du Dir
vorstellen kannst, gibt es nicht mehr allzu viele von uns. Aus all den
Träumen und Hoffnungen geboren, werden wir bei deren Zerstörung ausgelöscht,
vernichtet. Das darfst Du nicht zulassen. Du bist unsere letzte Hoffnung.
Bitte, hilf uns.“
Kleinlaut fragte der Zauberer den traurigen Vogel, wie er ihnen wohl helfen
könnte. „Begleite mich in meine Heimat Brandonia.
Der König hat dort all seinen Untertanen die Freude und das Lachen verboten.
Wer sich dieser Anordnung widersetzt, wird eingesperrt. Diejenigen, die in
den dunklen Kerkern festgehalten werden, haben all ihren Frohsinn verloren.
So wird bald das letzte Lachen erloschen sein.“ Erwartungsvoll blickte der
Vogel den Zauberer an.
„Flieg voraus, gefiederter Freund, und zeige mir den Weg. Es ist Eile
geboten. Euren König werde ich mir mal vorknöpfen“, erwiderte er
unerschrocken und hatte in der Zwischenzeit selbst die Gestalt eines Vogels
angenommen. Überglücklich bedankte sich der Vogel
bei ihm und flog voraus.
Noch vor Sonnenaufgang hatten sie die Festung erreicht und flogen in die
Gemächer des Königs. Mutig, wie der Zauberer nun einmal war, sprach er den
König ohne Umschweife an und flog dabei hin und her. In seiner Weisheit
erkannte der Zauberer sofort, dass der König nicht wirklich böse war,
sondern nur traurig. Er wusste sogleich, was zu tun war. Mit einigen alten
Zaubertricks, die er schon in der Jugend erlernt hatte, mit ein paar
lustigen Geschichten und vielen trickreichen Verwandlungen, war ihm das fast
Unmögliche gelungen. Er hatte den König zum Lachen gebracht. Dieser hielt
sich den Bauch, die Tränen liefen ihm die Wangen hinunter und von weiteren
Lachkrämpfen geschüttelt, ließ er sich auf seinen Thron fallen. Erschöpft,
aber glücklich bedankte
sich der König bei dem Zauberer, dass er ihm die Traurigkeit genommen und
dafür das Lachen geschenkt hatte. Er forderte den Zauberer auf, einen Wunsch
zu äußern. Alonsio wünschte sich die sofortige
Freilassung aller Gefangenen und den Fortbestand und die Freiheit von
Frohsinn, Heiterkeit und Lachen. Bereitwillig erfüllte der König den Wunsch
des Zauberers.
Der mystische Vogel, der sich vorsichtshalber unsichtbar gemacht hatte, um
das ganze Spektakel
aufmerksam zu verfolgen, ließ sich erleichtert auf der Schulter des
Zauberers nieder.
„Ich habe gewusst, dass auf Dich Verlass ist. Du hast uns alle gerettet. Wir
alle stehen in Deiner Schuld, großer Zauberer Alonsio. Wie können wir Dir
jemals danken?“, krächzte der überglückliche Vogel.
Der Zauberer blickte fasziniert aus dem Fenster und sah am Himmel Schwärme
von mystischen Vögeln, die sich formierten, um hinaus in die Welt zu
fliegen.
„Der Fortbestand aller Träume und Hoffnungen ist mehr als genug Dank, mein
lieber gefiederter Freund“, antwortete der Zauberer Alonsio weise lächelnd.
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